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Verhandlungen des Europäischen Parlaments - Europa

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19-11-2008<br />

DE<br />

<strong>Verhandlungen</strong> <strong>des</strong> <strong>Europäischen</strong> <strong>Parlaments</strong><br />

43<br />

Dialog beweist also, dass alle menschlichen Beziehungen, ob zwischen einzelnen Personen<br />

oder zwischen Ländern oder Kulturen oder Glaubensrichtungen, zwei Seiten haben.<br />

Einerseits unsere Gemeinsamkeiten und andererseits unsere Unterschiede. Was wir<br />

miteinander gemein haben und was jeder nur allein hat.<br />

Ich versuche, dies in möglichst einfachen Worten zu sagen. Wenn wir völlig verschieden<br />

wären, könnten wir nicht miteinander kommunizieren, aber wenn wir vollkommen gleich<br />

wären, hätten wir nichts zu sagen.<br />

(Beifall)<br />

Das ist alles, was ich zum Dialog sagen kann, ich möchte jedoch noch anmerken, dass der<br />

Dialog allein möglicherweise nicht ausreicht. Sehen Sie, vom Ende <strong>des</strong> 18. Jahrhunderts<br />

bis 1933 gab es einen Dialog zwischen Juden und Deutschen, genauso wie es einen Dialog<br />

und sogar Freundschaft zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda gab oder zwischen Serben<br />

und Kroaten und Muslimen in Bosnien und im Kosovo. Der Dialog bringt uns zusammen,<br />

er kann uns aber nicht immer zusammen halten, wenn andere Kräfte uns trennen.<br />

Daher möchte ich noch ein anderes Wort hinzufügen, das bei der Heilung zerbrochener<br />

Gesellschaften eine wesentliche Rolle gespielt hat. Es ist das Wort „Bund“. Es hat in der<br />

europäischen Politik im 16. und 17. Jahrhundert in der Schweiz, in Holland, in Schottland<br />

und in England eine wichtige Rolle gespielt. Der Begriff <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> war von ihren Anfängen<br />

bis heute Teil der amerikanischen Kultur, vom Mayflower-Vertrag im Jahr 1620 über die<br />

Predigt von John Winthrop an Bord der Arbella im Jahr 1631 bis in die Gegenwart. Ich<br />

weiß nicht, was Barack Obama in seiner Rede zum Amtsantritt sagen wird, aber er dürfte<br />

das Konzept <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> entweder erwähnen oder darauf anspielen.<br />

Der Bund ist natürlich ein Schlüsselwort der hebräischen Bibel, und zwar aus einem<br />

einfachen Grund: das biblische Israel wurde aus 12 verschiedenen Stämmen gebildet, von<br />

denen jeder auf der Wahrung seiner besonderen Identität bestanden hatte.<br />

Was ist ein Bund? Ein Bund ist kein Vertrag. Ein Vertrag wird für einen begrenzten Zeitraum,<br />

für einen bestimmten Zweck geschlossen, zwischen zwei oder mehr Parteien, die jeweils<br />

nach ihrem eigenen Vorteil streben. Ein Bund wird auf unbestimmte Dauer geschlossen,<br />

von zwei oder mehr Parteien, die sich in Loyalität und Vertrauen zusammenfinden, um<br />

zusammen etwas zu erreichen, was keine von ihnen allein erreichen kann. Ein Vertrag ist<br />

wie ein Geschäft; ein Bund ist wie eine Ehe. Verträge gehören in die Welt <strong>des</strong> Marktes und<br />

<strong>des</strong> Staates, der Wirtschaft und der Politik, die beide Orte <strong>des</strong> Wettbewerbs sind. Bünde<br />

gehören in den Bereich der Familien, Gemeinschaften, karitativen Organisationen, die von<br />

Kooperation bestimmt sind. Ein Vertrag besteht zwischen mir und Ihnen, also getrennten<br />

Individuen, während es bei einem Bund um uns geht, um gemeinsame Zugehörigkeit. Bei<br />

einem Vertrag geht es um Interessen; bei einem Bund geht es um Identität. Daher die<br />

wesentliche Unterscheidung, die in der europäischen Politik nicht deutlich genug gemacht<br />

wird, zwischen einem Gesellschaftsvertrag und einem Sozialpakt: Ein Gesellschaftsvertrag<br />

schafft einen Staat, ein Sozialpakt begründet eine Gesellschaft.<br />

(Beifall)<br />

Man kann eine Gesellschaft ohne einen Staat haben – das hat es in der Geschichte<br />

gelegentlich gegeben –, aber kann man einen Staat ohne eine Gesellschaft haben, ohne<br />

etwas, das die Menschen zusammenhält? Ich weiß es nicht. Man kann Menschen auf<br />

unterschiedliche Weise zusammenhalten: durch Gewalt, durch Angst, durch die<br />

Unterdrückung kultureller Unterschiede, durch die Verpflichtung aller, sich anzupassen.

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