Appenzell Ausserrhoden - ETH Zurich - Natural and Social Science ...
Appenzell Ausserrhoden - ETH Zurich - Natural and Social Science ...
Appenzell Ausserrhoden - ETH Zurich - Natural and Social Science ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Milchwirtschaft im <strong>Appenzell</strong>erl<strong>and</strong><br />
1 Einleitung<br />
1.1 Ausgangslage<br />
1.1.1 Die Milchwirtschaft – eine Branche im<br />
Umbruch<br />
Was muss gegeben sein und getan werden, damit die<br />
Milchwirtschaft in der Region <strong>Appenzell</strong> <strong>Ausserrhoden</strong> –<br />
insbesondere der Milch verarbeitende Zweig (Molkereien<br />
und Käsereien) – langfristig nachhaltig betrieben werden<br />
kann?<br />
Dieser Leitfrage folgte die Synthesegruppe 1 MILCH-<br />
WIRTSCHAFT im Rahmen der <strong>ETH</strong>-UNS Fallstudie 2002.<br />
Der Zeitpunkt war günstig, das Thema br<strong>and</strong>aktuell. Es<br />
verging praktisch kein Tag im Spätsommer/Herbst 2002,<br />
an dem in den Zeitungen nicht von Problemen der Milchbranche,<br />
von sinkenden Produzentenpreisen und drohenden<br />
Konkursen, von Änderungen in der Agrarpolitik, zu<br />
lesen war. Der Niedergang der einstigen Marktführerin<br />
der Milch verarbeitenden Industrie, der Swiss Dairy Food<br />
(SDF) – Nachlassstundung im September 2002 (Bitterli,<br />
2002) – stellt dabei den vorläufigen Höhepunkt einer lange<br />
befürchteten und wohl noch einige Zeit <strong>and</strong>auernden<br />
Entwicklung dar. So titelte der Tages-Anzeiger am 25.<br />
September 2003 den Wirtschaftsteil «Das Ende von Toni<br />
ist erst der Anfang» und erwartet eine markante «Flurbereinigung<br />
in der Schweizer Milchwirtschaft», vor allem<br />
vor dem Hintergrund der gegenüber der EU massiv höheren<br />
Milchproduzentenpreise (Speiser, 2002). Eine erste<br />
Kostprobe des vom Tages-Anzeiger prognostizierten Umbruchs<br />
folgte umgehend. Die Luzerner Emmi-Gruppe, die<br />
den Käsebereich von der konkursiten SDF übernommen<br />
hatte, kündigte Mitte Dezember 2002 an, die Abnahmeverträge<br />
für Emmentaler mit 81 Dorfkäsereien zu kündigen<br />
(Cotter, 2002). Ein Anfang?<br />
Szenenwechsel: Das <strong>Appenzell</strong>erl<strong>and</strong>. Eine Hügell<strong>and</strong>schaft<br />
mit Wald, steilen Böschungen und tiefen Tobeln,<br />
Wiesen und Kuhweiden, kleinen Siedlungen und verstreuten<br />
Höfen. Idyllisch und natürlich. Das Gebiet<br />
scheint für die Viehhaltung und Milchproduktion geradezu<br />
ideal. Tatsächlich stammen die ersten Hinweise für die<br />
Existenz eines <strong>Appenzell</strong>er Käses aus dem Jahr 1282 und<br />
spätestens seit dem 16. Jahrhundert ist die L<strong>and</strong>wirtschaft<br />
hier vorwiegend auf Viehwirtschaft ausgerichtet. Milchproduktion<br />
und Käseherstellung haben eine lange Tradition.<br />
Auch heute liegt die l<strong>and</strong>wirtschaftliche Nutzfläche<br />
im Kanton mit 56.1% der gesamten Kantonsfläche weit<br />
über dem Schweizer Durchschnitt (Bundesamt für Statistik,<br />
2003a). Dennoch: Mit der Schliessung der Milchabfüllanlage<br />
in Gossau St. Gallen (Regenass, 2002b) ist das<br />
<strong>Appenzell</strong>erl<strong>and</strong> von den aktuellen Turbulenzen rund um<br />
die SDF direkt betroffen. Nebst rund 150 bis 200 Arbeitsplätzen,<br />
die verloren gehen, ist die Zukunft vieler <strong>Appenzell</strong>er<br />
Bauern ungewiss; sie müssen neue Abnahmekanäle<br />
suchen. Es stellt sich also unweigerlich die Frage nach der<br />
Zukunft der Milchwirtschaft auch im <strong>Appenzell</strong>erl<strong>and</strong>.<br />
Dieses einleitende Kapitel versucht erste Antworten darauf<br />
zu skizzieren, indem der historisch/politische Hintergrund<br />
ausgeleuchtet wird.<br />
Im Kern der Betrachtungen steht der wirtschaftende, in<br />
der Region verankerte Betrieb, seine wirtschaftlichen<br />
Verflechtungen, seine volkswirtschaftliche, gesellschaftspolitische<br />
und soziale Bedeutung sowie seine Wirkung<br />
auf die Umwelt. Die Synthesegruppe MILCHWIRTSCHAFT<br />
konzentrierte sich dabei auf die Bedeutung der Milchverarbeitung<br />
als zentrale Bindestelle zwischen Bauern und<br />
Milchvermarktern, aber auch als Scharnier zwischen dem<br />
Kanton <strong>Appenzell</strong> <strong>Ausserrhoden</strong> und der umliegenden<br />
Region.<br />
1.1.2 Ein Geschichtlicher Abriss<br />
Von den Anfängen<br />
Der Name <strong>Appenzell</strong> («abbatis cella», «Abtzelle») wurde<br />
erstmals 1071 erwähnt. Mit Abtzelle ist keine Einsiedlerzelle<br />
gemeint, sondern ein äbtischer Gutshof mit Kellern<br />
und Speichern. Dorthin brachten die abhängigen Bauern<br />
der näheren Umgebung ihre Abgaben. <strong>Appenzell</strong> war also<br />
nicht nur eine Pfarrei, sondern auch ein Abgabehof. Damit<br />
war <strong>Appenzell</strong> nicht nur kirchliches, sondern auch<br />
wirtschaftliches Zentrum und wohl bald auch politischer<br />
und kultureller Mittelpunkt des ganzen Gebietes (Fuchs et<br />
al., 1982).<br />
Im Verlauf des 10. und 12. Jahrhunderts rodeten die<br />
alemannischen Siedlungsbauern auf Befehl des Abtes von<br />
St. Gallen den Wald des <strong>Appenzell</strong>erl<strong>and</strong>es und brachen<br />
das L<strong>and</strong> zu Wiesen und Äckern um. Kirchen und pfarreiähnliche<br />
Organisationen wurden gegründet. Die Anwohner<br />
waren verpflichtet, dem Kloster Abgaben in Form<br />
von <strong>Natural</strong>ien wie Vieh, Getreide, Butter und Käse zu<br />
1 Der Name Synthesegruppe leitet sich ab einerseits von der Gesamtsynthese, bei der die drei betrachteten Branchen Milchwirtschaft, Textilindustrie<br />
und Holzwirtschaft gleichermassen zu einer Gesamtsicht des Falls <strong>Appenzell</strong> <strong>Ausserrhoden</strong> beitragen. Andererseits ist die Synthesearbeit wesentliches<br />
Merkmal der Studienteams (Synthesegruppen), sei es, indem Wissen aus Praxis und Hochschule zusammengeführt wird, sei es durch inhaltliche<br />
Synthese, indem Wissen aus verschiedenen Perspektiven integriert wird. Die CHASSISGRUPPE betreibt nicht primär Synthesearbeit, sondern ihre<br />
hauptsächliche Aufgabe besteht in der Bereitstellung und Vermittlung geeigneter methodischer Werkzeuge, die ein st<strong>and</strong>ardisiertes Vorgehen der<br />
Synthesegruppen sicherstellen und somit eine Gesamtintegration der drei Branchen ermöglichen soll.<br />
166 UNS-Fallstudie 2002