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Appenzell Ausserrhoden - ETH Zurich - Natural and Social Science ...

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<strong>Appenzell</strong>er Textilindustrie<br />

bedingte Verbindungsfäden in Textilien abzuschneiden.<br />

Stickereien zum Beispiel werden von den Maschinen nebenein<strong>and</strong>er<br />

auf die Gazen gestickt. Die Fäden zwischen<br />

den einzelnen Mustern müssen dann entfernt werden.<br />

Ebenfalls geschert werden strukturierte Stoffe zum Beispiel<br />

Vorhangstoffe, bei denen nach dem Weben die Maschen<br />

aufgeschnitten werden müssen. Der Prozess des<br />

Scherlens verlangt viel Know-how und Erfahrung im Maschineneinsatz,<br />

damit die heiklen Gewebe nicht verletzt<br />

werden. Im Zweifelsfall schneiden die Angestellten die<br />

Fäden manuell auf.<br />

Die Eisenhut & Co AG in Gais (ca. 20 Mitarbeitende in<br />

der Schweiz und 100 in einer Filiale in Barcelona) entwirft<br />

die Stickereien. Sie beschäftigt eigene Designer,<br />

vergibt die Produktion an Stickereien und vertreibt die<br />

Zwischenprodukte an die verarbeitende Industrie.<br />

Zu den hoch spezialisierten Betrieben, die in ihrem Bereich<br />

einen grossen Teil der Produktionskette abdecken,<br />

gehören der grösste Textilbetrieb der Region, die Sefar<br />

AG in Heiden (weltweit 1550 Angestellte, davon in der<br />

Schweiz 800; 300 MitarbeiterInnen arbeiten in Heiden)<br />

und die Christian Eschler AG in Bühler (140 Mitarbeitende).<br />

Die Sefar AG produziert monofile Präzisionsgewebe<br />

für den technischen und den Medizinal-Bereich. Siebe für<br />

Müllereien, Siebdrucksiebe, Filtergewebe für die Autound<br />

Medizinindustrie. Die Sefar AG 2 verfügt über grosse<br />

Websäle, in denen von wenigen Mitarbeitern überwacht,<br />

Dutzende von Webmaschinen Tag und Nacht (Präzisions-<br />

) Gewebe produzieren.<br />

Die Christian Eschler AG produziert Stoffe für den<br />

Sportbereich. Hier sind es ebenfalls High-tech Fasern mit<br />

immer neuen Eigenschaften, die bei der Verarbeitung<br />

höchste Ansprüche an das technologische Know-how<br />

stellen.<br />

Alle Betriebe produzieren seit Jahrzehnten, und es fällt<br />

auf, dass kein Betrieb als reine Kapitalgesellschaft organisiert<br />

ist. Einige sind seit Generationen in Familienbesitz.<br />

Bei auffallend vielen besteht im Hintergrund eine Stiftung,<br />

die als Kapitalgeberin auftritt. Gegründet haben diese<br />

Stiftungen Unternehmer, die gesellschaftliche Verantwortung<br />

auf sich nahmen und auf diese Weise den Fortbest<strong>and</strong><br />

der Firma über ihr Leben hinaus zu sichern suchten.<br />

1.3 Ziel, Fragestellung, Hypothese<br />

Das Bild, das sich aus den knappen Firmenbeschreibungen<br />

in obigem Abschnitt ergibt, lässt einige Leitgedanken<br />

über die Entwicklung und die Potentiale der Textilindustrie<br />

im <strong>Appenzell</strong>erl<strong>and</strong> zu:<br />

a) Vornehmlich überlebt haben Betriebe, die über Jahrzehnte<br />

innovative Prozesse entwickelten, Märkte bearbeiteten,<br />

sich immer wieder auf neue Produktionsprozesse<br />

einstellen konnten.<br />

b) In der Schweiz ist die Produktion von Massenware<br />

nur bei fehlendem Angebot aus dem Ausl<strong>and</strong> rentabel.<br />

In der Bekleidungsindustrie können nur Betriebe<br />

überleben, die sich auf Produkte im Hochpreissegment<br />

oder technisch anspruchsvolle Bearbeitungsschritte<br />

spezialisiert haben oder deren Kosten so tief<br />

sind, dass sie gegenüber ausländischen Anbietern<br />

mithalten können.<br />

c) Obwohl die Betriebe in internationalen Netzen Teilschritte<br />

der Produktionskette ausführen, gibt es ein<br />

textiles Netzwerk im lokalen Raum. Dieses bestimmt<br />

über Jahrhunderte gewachsene Werte, bringt die kritische<br />

Masse für die Zulieferer in der Maschinenindustrie,<br />

stellt Schulungs- und Ausbildungsmöglichkeiten<br />

sicher und erstreckt sich in Teilbereichen auf<br />

Kooperationen und Geschäftsbeziehungen zwischen<br />

den einzelnen Betrieben.<br />

d) Einzelne der Qualitäten dieses lokalen Netzwerkes<br />

sind aufgrund der weiter schrumpfenden Branche<br />

akut gefährdet (Verhältnis zur Maschinenindustrie,<br />

Ausbildungs- und Schulungsmöglichkeiten).<br />

e) Das seit Jahrhunderten einem steten Veränderungsprozess<br />

unterworfene Textilgeschäft kann nicht mit<br />

Geschäftsformen, die auf den kurzfristigen Gewinn<br />

ausgelegt sind, betrieben werden. Einbrüche und Krisen<br />

können nur überlebt werden, wenn neben den<br />

monetären Interessen ideelle Werte gepflegt werden<br />

und wenn diese durch eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit<br />

gesichert sind. So lautet zum Beispiel der<br />

Firmenzweck der Familienaktiengesellschaft, welche<br />

die AG Cil<strong>and</strong>er besitzt: Erhaltung des Betriebes und<br />

der Arbeitsplätze am St<strong>and</strong>ort Herisau.<br />

Die Erfahrungen in den Betrieben und bei den Gesprächen<br />

mit den Firmenvertretern und Angestellten stehen in<br />

einem gewissen Kontrast zum Ruf der Branche<br />

(«Tieflohn-Branche in der Dauerkrise»). Ohne die Augen<br />

vor den Problemen zu verschliessen, entst<strong>and</strong> das Bild<br />

von Betrieben, die mit grossem geschichtlichem Bewusstsein,<br />

hoher sozialer Verantwortung und einer erstaunlichen<br />

Innovationskompetenz. Dieser Eindruck, zusammen<br />

mit der Offenheit, welche die Betriebe der <strong>ETH</strong> und den<br />

Studierenden gegenüber zeigten, motivierte die angehenden<br />

UmweltnaturwissenschafterInnen einen Beitrag zur<br />

Weiterentwicklung der Textilindustrie im <strong>Appenzell</strong>erl<strong>and</strong><br />

zu leisten.<br />

Ganz im Sinne der Firmenphilosophien setzte die umweltnaturwissenschaftliche<br />

Betrachtung beim Studium der<br />

Geschichte der Textilindustrie an und versuchte dann, in<br />

enger Zusammenarbeit mit den Akteuren im komplexen<br />

Feld von Umwelt, Gesellschaft und Ökonomie Konzepte<br />

2 In die Studie war primär nur die Division Filtration miteinbezogen.<br />

52 UNS-Fallstudie 2002

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