Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Den Raum für die Priorität ‚Kind’ sieht trotz der denkbar ungünstigen Rahmenbedingungen,<br />
die zum Teil für die langen Arbeitsstunden verantwortlich sind, auch eine andere<br />
Gesprächspartnerin, wenn sie darauf hinweist, die Eltern hätten oftmals plötzlich Zeit für ihre<br />
Kinder, wenn die familiären Probleme eskalierten und publik würden. 501<br />
Eine solche Eskalation kann sich beispielsweise darin äußern, dass Kinder im Vorschulalter,<br />
wenn die „Kitas“ am frühen Abend schließen, in der Wohnung sich selbst überlassen sind und<br />
sich dort durch Haushaltsunfälle verletzen. 502 Es kann vorkommen, dass die Polizei alleine in<br />
Lichtenberg umher irrende Vorschulkinder antrifft, die zwar den Namen ihrer „Kita“-<br />
Betreuerin und die Lage der Tagesstätte kennen, nicht aber Namen und Wohnungsstandort der<br />
Mutter. 503 Ältere Kinder schließen sich als Protest gegen ihre Vernachlässigung teilweise in<br />
der Wohnung ein 504 oder rebellieren schlichtweg durch völlige Respektlosigkeit:<br />
„ Vor kurzem ist eine Frau zu mir gekommen und hat gesagt: ‚Ich hab doch Zwillinge’, zwei Mädchen, dreizehn<br />
Jahre alt. […] So unerzogen wie die beiden Mädchen hab ich noch nie erlebt […] , und ich verstand wirklich<br />
nicht, warum. Und sie […] verweigerten alles, was mit vietnamesischer Familie […] , was mit vietnamesischer<br />
Kultur [zu tun hat, C.B.]. Das verstand ich überhaupt nicht. Ich versuchte, auch zu verstehen. Tag für Tag,<br />
Schritt für Schritt kriegte ich doch also Vertrauen von den beiden, und auch von […] den Eltern. Jetzt weiß ich:<br />
Weil, die Familie… die Eltern haben auch zugestanden, dass sie – sie sind nicht das einzige Beispiel in der<br />
vietnamesischen Gemeinschaft, ne?! Das ist ganz normal - sie haben die ganze Zeit sehr harte Arbeit gehabt, um<br />
die Familie zu, wie sagt man, zu halten, ne?! Und deswegen haben sie auch nicht mal Zeit für die beiden gehabt,<br />
damals überhaupt nicht. Und dann die Kinder, die beiden Zwillinge: immer allein zu Hause, immer allein,<br />
allein.“ 505<br />
Aufgrund der langen Arbeitszeiten der Eltern scheint auch das <strong>Aus</strong>maß, in dem die<br />
Kinder und Jugendlichen in die familiäre Pflicht genommen werden, das aus Vietnam<br />
bekannte zu übersteigen. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei, dass die Mitglieder der<br />
erweiterten Familie nicht wie dort anwesend sind, um die Eltern in ihren erzieherischen<br />
Aufgaben zu <strong>unter</strong>stützen. 506 Somit sind offenbar sogar Kinder, die in der Grundschule gute<br />
oder sehr gute Schüler waren, die hinsichtlich ihrer Intelligenz fähig wären, auch im<br />
Gymnasium dieses Niveau zu halten, immer häufiger durch die enorme Belastung der<br />
familiären und schulischen Pflichten überfordert. 507 Das Führen des gesamten Haushalts, das<br />
501<br />
Interview 1.<br />
502<br />
Vgl. Interview 7.<br />
503<br />
Vgl. Interview 2.<br />
504<br />
Vgl. ebenda.<br />
505<br />
Interview 3. Für andere Beispiele der Eskalation familiärer Konflikte durch dauernde elterliche Abwesenheit<br />
siehe auch Interviews 1, 2, 5.<br />
506<br />
Vgl. Interviews 2, 7, 5.<br />
507<br />
Vgl. Interviews 1, 2, Mai 2003 in: http://www.taz.de/pt/2003/08/13/a0189.nf/text.<br />
107