Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
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III. Der kulturelle Hintergrund der Eltern: Vietnamesische Werte und Normen<br />
III.1 Die traditionelle vietnamesische Familie<br />
III.1.1 Die Familienhierarchie und ihre gesellschaftliche Bedeutung<br />
„For the Vietnamese, the family ist the strongest motivating force in life, stronger than religion and<br />
nationality.“ 241<br />
Traditionell 242 waren in Vietnam stets die Familientypen der Kernfamilie und der erweiterten<br />
Kernfamilie dominant, bestehend also aus Großeltern, Eltern und Kindern und nicht, wie oft<br />
behauptet, der Typus der Großfamilie. 243 Diese war in Vietnam eher selten zu finden und<br />
beschränkte sich in der Regel auf Familien des chinesisch-konfuzianisch beeinflussten<br />
Mandarinats, also auf die Oberschicht, deren Kinder die materielle und soziale Sicherheit des<br />
Elternhauses nicht verlassen wollten und die mehr Menschen ernähren konnte als die<br />
Familien der bäuerlichen Unterschicht eher indigen-vietnamesischen Ursprungs, wo die<br />
Kinder das Elternhaus oft aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen verlassen mussten. 244<br />
Die Grundlage der Kernfamilie ist patrilinear, sie basiert also auf <strong>einem</strong> der väterlichen<br />
Abstammung folgenden „Klan“ (toc, ho), der sich im Lauf der Generationen in Seitenlinien<br />
verzweigt. Die Kinder eines Paars gelten zwar als zum Klan des Vaters gehörig, sind aber<br />
auch in die Familie der Mutter eingebunden. Man spricht hier vom ‚inneren’,<br />
beziehungsweise väterlichen Familienkreis (noi) und dem ‚äußeren’ oder mütterlichen<br />
Verwandtschaftskreis (ngoai) der Kinder. 245<br />
Die traditionelle vietnamesische Familienordnung und deren gesellschaftliche Signifikanz<br />
basieren auf der Philosophie des Konfuzianismus, dessen Konzepte und Praktiken in Vietnam<br />
erstmals nach der Eroberung des Landes durch die Han (111 v. Chr.) von chinesischen<br />
Beamten eingeführt wurden. 246 Die darauf folgende tausendjährige chinesische Herrschaft<br />
über das Land (111 v. Chr. bis 939 n. Chr.) legte den Grundstein für die Entwicklung dieser<br />
politischen und gesellschaftlichen Lehre zur offiziellen vietnamesischen Staatsdoktrin, als die<br />
sie während der königlichen Dynastie der Lê (1428-1788) ihre Blüte hatte. 247 Der<br />
241<br />
Bankston und Zhou 1998: 83.<br />
242<br />
Beziehungsweise <strong>unter</strong> der Gesetzgebung der Lê-Dynastie im 17. und 18. Jahrhundert.<br />
243<br />
Vgl. Kosaka-Isleif 1991: 210.<br />
244<br />
Vgl. Schneider 1982: 70-71.<br />
245<br />
Vgl. Endres 1998: 35.<br />
246<br />
Vgl. Pham Hong Tung, Pham Quang Minh und Nguyen Quang Hung 2001: 16. Die altchinesische<br />
konfuzianische Lehre geht auf Konfuzius zurück (geboren 551 v.Chr.). Sie beeinflusste auch Korea und Japan.<br />
Vgl. Kosaka-Isleif 1991: 205.<br />
247<br />
Vgl. Nguyen Khac Vien 1971: 27.<br />
42