Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
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„Nationalitätenvereine und ethnische Gruppierungen, die Einwandererkolonie als ein sozial-kulturelles und<br />
ökonomisches System […] , sind Räume, in denen sich die Gruppe austauscht, manchmal auch die Heimat<br />
verherrlicht, Zukunftspläne macht, von <strong>einem</strong> besseren Leben träumt, konkrete Utopien entwickelt […]. Die<br />
Individuen können sich zunächst einmal in solchen Zusammenschlüssen als gleichberechtigte Mitglieder<br />
bewegen. Ihre Stellung in der Gruppe wird nicht von vorneherein durch ihr ‚<strong>Aus</strong>länderdasein’ festgelegt,<br />
sondern durch die <strong>Aus</strong>einandersetzung auf verschiedenen Ebenen innerhalb der Gruppe erkämpft bzw. auch<br />
durch die Qualifikationen der einzelnen Mitglieder […] erworben.“ 431<br />
Bezieht man die obigen <strong>Aus</strong>führungen nun auf die Erziehungsmethoden der Eltern, so<br />
ist folgende Interpretation denkbar: Auch dafür, <strong>unter</strong> den beschriebenen Bedingungen von<br />
Migration und Marginalität Kinder so gut wie möglich erziehen zu wollen, was Eltern<br />
universal zu <strong>unter</strong>stellen ist, hat die Praxis eines scheinbar ‚traditionellen vietnamesischen<br />
Erziehungsstils’ einen auf diese Bedingungen bezogenen und deshalb aktuellen<br />
Problemlösungscharakter. Er stellt eine Alternative dar zu den erzieherischen Methoden der<br />
Mehrheitsgesellschaft. Diese sind den vietnamesischen Migranten aufgrund ihrer isolierten<br />
Lebensbedingungen eventuell schlicht unbekannt, wie aus den Gesprächen zum Teil deutlich<br />
wurde 432 , oder es werden ihnen, in einer Art kompensatorischen Reaktion auf die „Kränkung“<br />
ihres Selbstbewusstseins durch die Bedingungen der Migration negative Vorurteile,<br />
zumindest aber eine gewisse Skepsis entgegengebracht, wie sie im Rahmen der Hypothesen<br />
für möglich gehalten wurde und zum Beispiel hier zum <strong>Aus</strong>druck kommt:<br />
„Es ist auch schwierig irgendwie so …seine Identität ganz aufzugeben, und sie meinen, ihre<br />
Erziehungsmethoden sind besser, weil sie ihre Kinder irgendwie beschützen wollen, die wollen…sie nicht<br />
loslassen in die Gesellschaft.“ 433<br />
Gemäß der obigen Interpretation suchen die Eltern ihre durch Unkenntnis und/oder Kränkung<br />
angegriffene Selbstsicherheit wiederherzustellen durch die Besinnung auf ein soziales und<br />
ethisches Regelwerk, in dem sie sich einst selbstverständlich und damit selbstbewusst<br />
bewegen konnten. Je stärker ihr Selbstbewusstsein beeinträchtigt wurde, desto größer ist<br />
möglicherweise auch der Wunsch nach dieser alten Selbstverständlichkeit und<br />
Selbstsicherheit, desto wahrscheinlicher ist damit vielleicht auch, dass es zu einer so<br />
genannten ‚Idealisierung’ dieser Werte kommt, wie sie bereits erwähnt wurde und<br />
beispielsweise hier anzuklingen scheint:<br />
431<br />
Kalpaka und Räthzel 1990: 52-53.<br />
432<br />
Beispielsweise in den Interviews 3 und 7.<br />
433<br />
Interview 7.<br />
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