Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
über Fragen der Kindererziehung geführten Gespräche 517 thematisierten die Befragten gerade<br />
ein fehlendes Bewusstsein für Belange der menschlichen Psyche <strong>unter</strong> den vietnamesischen<br />
Migranten:<br />
„ […] man hat überhaupt keine Ahnung: Was sind psychische Probleme?, dass […] aus bestimmten Gründen die<br />
Seele krank wird und dass man das nicht mit Akupunktur behandeln kann. […] Und dieses ganze Thema Psyche<br />
ist eigentlich überhaupt … auch im Bereich Drogen: Die denken da gibt’s `ne Pille und dann ist man wieder<br />
gesund. Also dass da die Psyche auch im Bereich Drogen eine Rolle spielt …. .“ 518<br />
Unter anderem auf dieses Phänomen führen einige Befragte übrigens auch die ihres Erachtens<br />
bedauernswerte Tatsache zurück, dass scheinbar kein vietnamesischer Student sich für die<br />
Fächer Psychologie, Psychiatrie, Erziehungswissenschaften oder Sozialpädagogik entscheidet,<br />
wofür innerhalb der vietnamesischen Gemeinschaft offenbar ein großer Bedarf bestünde. 519<br />
Doch zurück zur zu erörternden Frage: Wenn das hiesige Konzept der Psyche im Bewusstsein<br />
vietnamesischer Migranten keine Rolle spielt, weil es eng mit Problemen und Bedürfnissen<br />
verbunden ist, die sie – oder deren Problematisierung sie - offenbar aus Vietnam nicht kennen<br />
und die sie in Deutschland durch ihre Isolation von der Mehrheitsgesellschaft und die<br />
Dringlichkeit ganz anderer Fragen, wie zum Beispiel der des Aufbaus einer Existenz <strong>unter</strong><br />
ungünstigen Bedingungen, auch nicht kennen lernen konnten, dann scheint die Einstellung<br />
sehr vieler Eltern zur Kindererziehung verständlicher. Zumindest teilweise könnte so erklärt<br />
werden, warum Eltern scheinbar die psychologisch begründete Notwendigkeit und auch die<br />
pädagogische Dimension von Freizeit nicht sehen, da sie für sich selbst auch kaum Freizeit in<br />
Anspruch nehmen, und warum sie Kreativität und soziale Kompetenzen nicht als für die<br />
Zukunft ihrer Kinder bedeutende und deshalb fördernswerte Fähigkeiten betrachten.<br />
Begreiflicher scheint mithilfe der obigen Erklärung auch, warum die Eltern sich um die<br />
psychologischen <strong>Aus</strong>wirkungen ihrer hohen Erwartungen und ihrer Autorität bei ständiger<br />
Abwesenheit nur wenige Gedanken zu machen scheinen, beziehungsweise warum sie ein<br />
nicht erwartungsgemäßes Verhalten der Kinder nicht als psychologisch begründbare Reaktion<br />
auf ihr Verhalten sehen, schlichtweg: warum sie ihre Kinder nicht „verstehen“ 520 , wie sie des<br />
Öfteren anzugeben scheinen.<br />
517<br />
Eines der insgesamt acht durchgeführten Interviews (Interview 6) fand vornehmlich zum Thema ‚kulturelle<br />
Identität’ statt.<br />
518<br />
Interview 1.<br />
519<br />
Vgl. Interviews 1, 2, 4, 5, 7. Einer Befragten gelang es offenbar erst nach einer mehrjährigen Recherche, die<br />
Adresse einer einzigen Psychotherapeutin in Europa herauszufinden, nämlich in Paris. (Vgl. Nonnemann 2004:<br />
3.)<br />
520<br />
Interview 3.<br />
110