Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„Abhängige Arbeiter sind nur noch die Schweißer und Schiffsbauer von der ehemaligen Neptun-Werft [der<br />
DDR, C.B.], die jetzt in verschiedene Betriebsteile <strong>unter</strong>gegliedert sind, einige […] Baufacharbeiter, die wir `94<br />
umgeschult haben, ansonsten: Die anderen haben keinen anerkannten Beruf und deswegen haben sie fast keine<br />
Chance, hier einen Arbeitplatz zu finden, und flüchten somit in diese Selbständigkeit […], wo sie sich hier<br />
kaputtmachen. Nur sehr wenige schaffen das, dass sie ein ordentliches Geschäft haben und auch eine<br />
Geschäftsführung machen können. Das liegt ja auch daran, dass sie von heute auf morgen sozusagen ins kalte<br />
Wasser geschmissen wurden ohne eine Grundsatzvorbereitung auch in Betriebswirtschaft oder wie auch<br />
immer… und… müssen dadurch mehr arbeiten für ihr Einkommen.“ 426<br />
Zu diesem Mangel an kaufmännischem Fachwissen als bezüglich der Gewinnspanne<br />
kontraproduktiver Faktor gehört auch die mittlerweile sehr hohe Konkurrenz <strong>unter</strong> den<br />
gewerbebetreibenden vietnamesischen Migranten:<br />
„Anfangs ging das auch noch ziemlich gut, da gab es eben noch nicht so viel Gewerbe. Inzwischen strömen<br />
massenhaft Vietnamesen auf den Markt, hab ich auch immer so das Gefühl. Am Anfang waren’s die<br />
Imbissstuben und die Gaststätten, dann waren es die Märkte […] und jetzt […] erkenn ich immer mehr, dass es<br />
die Blumenläden sind. Überall, wo man hier in Lichtenberg hinkommt, oder im Osten der Stadt, sieht man diese<br />
Blumenläden. […] Sie sind nicht weit voneinander entfernt und …sie zerhauen sich selber ihre Karriere.“ 427<br />
Eine weitere Motivation für die Menschen, so viel und lange zu arbeiten, ist die in der Regel<br />
große Erwartung der in Vietnam verbliebenen Verwandten, von ihren in Deutschland<br />
lebenden Angehörigen finanziell <strong>unter</strong>stützt zu werden. Häufig auf falschen Vorstellungen der<br />
Lebensbedingungen im ‚westlichen Wohlstand’ basierend, resultieren diese Erwartungen<br />
nicht selten in konkreten Forderungen, welche der Gehorsam insbesondere gegenüber den in<br />
Vietnam verweilenden Eltern zu erfüllen gebührt. Schätzungen einer Befragten zufolge geht<br />
auf diese Art und Weise mindestens ein Drittel des verdienten Geldes nach Vietnam. 428 Es<br />
handelt sich hier also um eine zusätzliche ökonomische – und bisweilen auch psychische -<br />
Belastung der Migrantenfamilien, die nicht <strong>unter</strong>schätzt werden sollte. 429<br />
Neben der Sprachbarriere und den spezifischen geschichtlichen und ausländerrechtlichen<br />
Bedingungen, deren <strong>Aus</strong>wirkungen noch heute spürbar sind, ist also offenbar auch die mit<br />
diesen Aspekten in gewissem Maße verbundene, sehr zeitintensive Erwerbstätigkeit ein<br />
Faktor, der die Isolation vietnamesischer Migranten von der Mehrheitsgesellschaft als<br />
‚gemeinsamen Nenner’ ihrer aktuellen Probleme und Lebensbedingungen erklärt. Doch auch<br />
die generelle Einstellung dieser Mehrheitsgesellschaft gegenüber Migranten kann eine<br />
426 Interview 5.<br />
427 Interview 2.<br />
428 Vgl. ebenda.<br />
429 Vgl. Interviews 1, 7; Telefonat mit Frau Hentschel am 9.12.2004. Vgl hierzu auch Heyder 2001: 262.<br />
90