Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
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wird. Die folgende <strong>Aus</strong>sage zeigt, dass eine solche Haltung durchaus auch auf der Seite der<br />
Migranten zu beobachten ist:<br />
„Ich bin der festen Überzeugung, dass sie eines Tages wieder zu ihren Wurzeln kommen werden, denn ich habe<br />
gemerkt…bei einigen jungen Kindern, die sagen immer: ‚Na was bist Du, welche Nationalität hast Du denn?’<br />
‚Na, ich bin Deutscher!’, sagen sie ganz spontan und ganz…locker so, aber, bei <strong>einem</strong> Mädchen habe ich<br />
gemerkt, dieses Mädchen hatte…in der ersten Zeit, hat sich auch …sagen wir mal eingebildet, dass sie eine<br />
Deutsche ist und sie hatte Vietnam ein paar mal besucht, und das Ergebnis dieser Besuche war, dass sie jetzt<br />
anders …also…eine andere Einstellung hat, sie hat gesagt: ‚Also ich muss doch später wieder nach Vietnam<br />
zurück, denn dort ist alles frei, dort ist alles so schön […]’ , also dann haben sie angefangen, nachzudenken,<br />
und…ihre Einstellung entsprechend zu ändern.“ 574<br />
Dass der oben zitierte Gesprächspartner sicherlich Recht hat, wenn er annimmt, die<br />
vietnamesische Herkunft der Eltern werde im Leben der in Deutschland geborenen Kinder<br />
früher oder später noch eine Rolle spielen, soll hier ebenso wenig bestritten werden wie die<br />
Tatsache, dass die Kinder vor <strong>einem</strong> gewissen Alter nicht in der Lage sind, sich bewusst mit<br />
Fragen der Identität auseinanderzusetzen, dass also bezüglich ihrer Entwicklung momentan<br />
durchaus Vieles temporären Charakter haben kann. Ebenso wenig sollen die ausführlich<br />
geschilderten Problemquellen im Leben der Kinder und Jugendlichen geschmälert werden, die<br />
sicherlich auch darin begründet sind, dass die sich an vietnamesischen Werten orientierenden<br />
erzieherischen Problemlösungsmechanismen der Eltern trotz ihrer besten Absicht den<br />
kindlichen Bedürfnissen teilweise nicht gerecht werden können. Es soll lediglich Abstand<br />
genommen werden von <strong>einem</strong> allzu rigiden Begriff der ‚kulturellen Identität’, der die<br />
gesellschaftliche ‚Nicht-Selbstverständlichkeit’ und daher Nicht-Akzeptanz des ‚Anderen’ zu<br />
zementieren scheint:<br />
„Die Funktionen des Kulturellen sind Sinnkonstitution und Identitätsbildung für die Gruppe und für den<br />
Einzelnen. Sinnkonstitution, also den Sinn zu bestimmen, den man der Welt und der eigenen Existenz darin gibt,<br />
ist ein komplizierter Prozeß, der einer Eigenaktivität bedarf. Individuen übernehmen nicht einfach das<br />
Vorgegebene als passive Empfänger. Sie eignen sich die Dinge und ihre Bedeutung an und transformieren sie<br />
dabei, entsprechend ihren Voraussetzungen und Lebensbedingungen. Wenn man Kultur […] prozeßhaft und<br />
nicht als ein für alle Gruppen der Gesellschaft das Leben verbindlich regelndes statisches System [versteht,<br />
C.B.], dann kann man Identitätsbildung auch als einen lebenslangen Prozeß auffassen. Unterschiedliche soziale<br />
Gruppen bzw. Individuen setzen sich mit sich und ihren Lebensbedingungen auseinander, definieren sich selbst<br />
und andere immer wieder neu, erarbeiten sich auf diese Weise ihre ‚Identität’, indem sie […] das bereits<br />
angeeignete kulturelle Material den aktuellen Lebensbedingungen entsprechend umarbeiten. […] So gesehen<br />
574 Interview 8.<br />
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