Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
IV. Der Wandel der Familie infolge der Migration<br />
In der Literatur über vietnamesische Migrantenfamilien - in erster Linie handelt es sich dort<br />
um die meist aus dem Süden Vietnams stammenden Boat People, welche ab dem Ende der<br />
70er und in den 80er Jahren zu Tausenden vor den Repressalien des kommunistischen<br />
vietnamesischen Regimes auf dem sehr gefährlichen Fluchtweg über das südchinesische Meer<br />
in alle Welt flohen – ist häufig von der Beeinträchtigung, schlimmstenfalls vom Zerfall der<br />
Familienstrukturen aufgrund der mit dem eigenen Wertesystem konfligierenden, völlig<br />
anderen kulturellen Gegebenheiten im Aufnahmeland die Rede. 297 Sicherlich spielen<br />
kulturelle Faktoren für den Aufbau einer Existenz in einer anderen Kultur als der eigenen eine<br />
wichtige Rolle, und dass diese Faktoren mit den Individuen sogleich die Familie als<br />
Lebensgemeinschaft dieser Individuen beeinflussen, liegt auf der Hand. Kulturelle Faktoren<br />
sollen im Rahmen dieser Arbeit auch nicht relativiert oder gar negiert werden, sind sie doch<br />
letztendlich ihr Untersuchungsgegenstand. Drastische Beeinträchtigungen der<br />
Familienstruktur können aber zunächst auch in ganz anderen Faktoren begründet liegen, die<br />
durchaus Aufmerksamkeit verdienen, was bisweilen jedoch angesichts einer allzu<br />
leidenschaftlich geführten Kulturdebatte nicht ausreichend der Fall ist. Gemeint sind die<br />
Faktoren eher politischer und rechtlicher Natur, die darüber entscheiden, wer eine Existenz in<br />
der aufnehmenden Kultur überhaupt aufbauen darf und <strong>unter</strong> welchen Bedingungen. Im<br />
Kontext der hier betrachteten Migrantengruppe der ehemaligen vietnamesischen<br />
Vertragsarbeiter bedeutet dies, dass zuallererst einmal die geschichtlichen und<br />
ausländerrechtlichen Gegebenheiten betrachtet werden müssen, die die Familie betreffen.<br />
Welche geschichtlichen und politischen Faktoren die Familien zunächst generell daran<br />
hinderten, in Deutschland zusammen zu leben, wurde zuvor bereits beschrieben; was dann<br />
ermöglichte, dass sie in Deutschland wieder zusammenfinden konnten, bereits an mehreren<br />
Stellen angedeutet. Die massiven strukturellen und psychischen <strong>Aus</strong>wirkungen beider<br />
Momente auf die Familie sollen jedoch nun näher <strong>unter</strong>sucht werden.<br />
Die Familienzusammenführung hatte <strong>unter</strong> vietnamesischen Vertragsarbeitern schon in der<br />
Endphase der DDR ihren inoffiziellen, leisen Anfang genommen, etwa ab 1988. Damals<br />
versuchten zunächst die im Vergleich zu den einfachen Vertragsarbeitern privilegierten<br />
Gruppenleiter und Dolmetscher, Kinder und Partner zu sich zu holen. Außerdem kamen <strong>unter</strong><br />
den Vertragsarbeiterinnen aufgrund der erwähnten humaneren Bestimmungen bezüglich<br />
297 Siehe hierzu zum Beispiel Schneider 1982, Blume und Kantowsky 1988, Kosaka-Isleif 1991, Kibria 1993,<br />
Bui Cong Tang 1996, Nguyen Thi Minh Dai 1998.<br />
52