Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
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aufenthaltsrechtliche Unsicherheit und auch der extreme finanzielle Druck sind zunächst<br />
überwunden.<br />
Das heißt jedoch noch lange nicht, dass damit auch innerhalb der Familie alle Probleme gelöst<br />
sind. Die lange Phase der Trennung der in Deutschland lebenden Partner von ihren Männern,<br />
Frauen und Kindern bewirkte nicht selten eine starke Entfremdung der Eheleute voneinander.<br />
Durchaus nachvollziehbar führten und führen die Partner zum Teil neue Beziehungen,<br />
manchmal auch beide Partner. Die Entscheidung, nach bis zu 18 Jahren der Trennung die<br />
Familienzusammenführung zu beantragen, fällt demnach sicherlich nicht immer leicht und ist,<br />
wie man sich vorstellen kann, bisweilen stark aus <strong>einem</strong> Gefühl der Verpflichtung und<br />
Verantwortung heraus motiviert. An dieses appellieren nicht selten auch die eigenen Eltern<br />
des ehemaligen Vertragsarbeiters, sie scheinen diesbezüglich zum Teil auch starken Druck<br />
auszuüben. 303 Hier kommt erstmals verstärkt ein ‚kultureller’ Faktor zum Tragen, nämlich die<br />
enge Familienbindung der Vietnamesen und der unbedingte Gehorsam der Kinder gegenüber<br />
den Eltern auch im Erwachsenenalter. Die oben beschriebenen Bedingungen können<br />
verständlicherweise für so manche Ernüchterung sorgen:<br />
„In der Regel kommen die Ehepartner, die hier sind, dem Druck der Familie in Vietnam nach und holen die<br />
Partner her. Die kommen mit viel Idealismus hierher, und kriegen dann hier mit, dass also die Familie so nicht<br />
mehr existiert […] Der Partner hat in Vietnam nie zur Wahrheit gestanden, hat also immer die Familie im<br />
Glauben gelassen, es ist alles noch okay… Und, ja, wenn die Frauen dann hier her kommen, kriegen sie mit, dass<br />
es da noch eine Partnerin, dass es vielleicht auch sogar noch Kinder gibt aus der Partnerschaft, also dass neben<br />
ihrer Ehe noch eine andere nicht eingeschriebene Ehe existiert.“ 304<br />
Die oben beschriebenen Beispielsszenarien weisen den Frauen die Rolle der<br />
Hauptleidtragenden zu. Ohne generalisieren zu wollen muss erwähnt werden, dass die<br />
gesellschaftlich schwächere Stellung der Frau häufig zusätzliche Schwierigkeiten mit sich<br />
bringt: Ist sie diejenige, die in Vietnam blieb, so stand sie in der Regel in Kontakt – und<br />
letztlich auch <strong>unter</strong> der Kontrolle – der eigenen Eltern und der Schwiegereltern. Eine –<br />
zumindest offizielle – partnerliche Neuorientierung war also tabu. Als vietnamesischer Mann<br />
ist man diesem Tabu hingegen nicht so stark ausgesetzt, schon gar nicht, wenn man sich fern<br />
der direkten sozialen Kontrolle in Vietnam im <strong>Aus</strong>land befindet. Dass der familiäre Druck<br />
dennoch auch über die große Entfernung hinweg seine Wirkung entfaltet, kann hingegen im<br />
seit Langem in Deutschland lebenden und sich im Zugzwang sehenden Partner Frustrationen<br />
auslösen, die aus Vietnam nachgereiste Frauen durch ihre physische Unterlegenheit bisweilen<br />
303 Vgl. Interview 1.<br />
304 Ebenda.<br />
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