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Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.

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V.2.2 Untersuchungshypothesen<br />

Gemäß der oben als ‚Präzedenzfall’ betrachteten Kinder der vietnamesischen Boat People<br />

lassen sich für die Kinder der ehemaligen Vertragsarbeiter folgende Forschungshypothesen<br />

formulieren – wie erwähnt <strong>unter</strong> dem Vorbehalt der bereits genannten Unterschiede zwischen<br />

den beiden Migrantengruppen in Migrationsmotivation und -bedingungen:<br />

Was die Form der Kindererziehung anbetrifft, so ist gemäß den Erkenntnissen über die Boat<br />

People anzunehmen, dass die Eltern, die ihre Sozialisation 378 in Vietnam erfahren haben,<br />

deren Persönlichkeit sich also vor dem Hintergrund dort geltender gesellschaftlicher und<br />

kultureller Werte entwickelte, sich an eben diesen Werten auch im Migrationsland<br />

Deutschland orientieren werden. Dies ist umso wahrscheinlicher, als die Ehepartner in<br />

bisweilen größerem Maße als bei den Boat People oft sehr lange voneinander getrennt lebten,<br />

sodass der Lebensalltag des in Vietnam verweilenden Partners, bei dem auch die bereits<br />

geborenen Kinder lebten, sehr viel länger von dortigen Werten und Normen bestimmt war.<br />

Die Tatsache, dass die vietnamesischen Migranten in den neuen Bundesländern in der Regel<br />

sehr wenig Kontakt zur deutschen Bevölkerung haben, ein interkultureller elterlicher<br />

‚<strong>Aus</strong>tausch’ in Erziehungsfragen also kaum stattfinden wird - was angesichts des<br />

vietnamesischen Tabu-Themas ‚Erziehungsprobleme’ ohnehin unwahrscheinlich wäre -<br />

könnte das Festhalten an diesen Werten noch verstärken. Die Isolation von der<br />

Mehrheitsbevölkerung macht auch eine Skepsis gegenüber in Deutschland geltenden Werten<br />

denkbar, wie sie bei den Boat People beschrieben worden ist, die ihre Kinder zum Teil vor<br />

schädlichen ‚westlichen Einflüssen’ schützen wollten.<br />

Die Kinder der ehemaligen Vertragsarbeiter werden - wie die Kinder der Boat People damals<br />

auch - entweder in Deutschland geboren und eingeschult oder sie kamen im Rahmen der<br />

Familienzusammenführung aus Vietnam und besuchen nun deutsche Schulen, teilweise auch<br />

Universitäten. In Anbetracht der zentralen Bedeutung der „Sozialisationsinstanz“ 379 Schule<br />

für die kindliche Entwicklung und für den Integrationsprozess insbesondere der aus Vietnam<br />

nachgereisten Kinder auf struktureller, sozialer und kognitiver Ebene kann davon<br />

ausgegangen werden, dass ihr Lebensalltag außer durch die elterliche Erziehung in hohem<br />

Maße auch durch Einflüsse der Mehrheitsgesellschaft geprägt ist, weitaus mehr als das Leben<br />

378 „Unter ‚Sozialisation’ wird der Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit in <strong>Aus</strong>einandersetzung mit den<br />

inneren und äußeren Anforderungen verstanden. Körper und Psyche bilden die ‚innere Realität’, soziale und<br />

physische Umwelt die ‚äußere Realität’ des Entwicklungsprozesses […]. Durch die ständige produktive<br />

<strong>Aus</strong>einandersetzung mit der körperlichen Konstitution und der physischen Grundstruktur auf der einen und<br />

sozialen und physischen Umweltimpulsen auf der anderen Seite wird ein Jugendlicher nach dieser Theorie zu<br />

<strong>einem</strong> sozial handlungsfähigen Subjekt.“ (Hurrelmann 2004: 49.) Hervorhebungen im Original.<br />

379 Nguyen Thi Minh Dai 1998: 179.<br />

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