Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
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„Also, Sie wissen auch, das Familienverhältnis in Vietnam ist völlig anders als in Deutschland. Wenn ein Kind<br />
aus Deutschland [nach Vietnam, C.B.] kommt, dann wird das Kind verwöhnt von den Großeltern, von den<br />
Tanten und Onkels und von den anderen Kindern, und deshalb …fühlt sich das Kind nicht allein oder nicht<br />
ausgeschlossen, wie manche in Deutschland, sondern sie ….wachsen in der Familie mit hinein, und deshalb ist<br />
das Gefühl…oder die Gefühle dieser Kinder ganz anders als in Deutschland.“ 434<br />
Nicht nur die ‚Idealisierung’ von, auch ein scheinbar <strong>allen</strong> Veränderungen und Konflikten<br />
trotzendes ‚stures Festhalten’ an erzieherischen Methoden, wie die Eltern sie als Kinder selbst<br />
erfahren haben, kann vor dem Hintergrund einer auf der ständigen Wahrnehmung des<br />
‚Anders-Seins’ basierenden Verletzung des elterlichen Selbstbewusstseins, wie Kalpaka und<br />
Räthzel sie beschreiben, betrachtet werden. Ein Befragter machte in diesem Zusammenhang<br />
zum Beispiel folgende Beobachtung:<br />
„Sie können nicht oder…wollen auch nicht mit der Realität …akzeptieren, dass sie sich… selber was ändern<br />
müssen, sondern sagen: ‚Nee, mein Kind muss machen, was ich will’, und das geht heute nicht mehr…die<br />
müssen miteinander irgendwie gemeinsam eine Lösung finden. […] Zum Beispiel sagen viele Eltern, wenn die<br />
Kinder sagen: ‚Vater, in Deutschland, also hier darfst Du mich nicht hauen, nicht schlagen’…dann sagt der<br />
Vater: ‚Du wirst das schon sehen’, also die sagen: ‚Wir schlagen, und wenn Du mich dann anzeigst… mach das<br />
bitte, aber dann fliegst Du vielleicht zurück [nach Vietnam, C.B.].“ 435<br />
Eine mögliche Interpretation des Verhaltens des Vaters gemäß den obigen Erkenntnissen wäre<br />
folgende: In Anbetracht seiner Erfahrung der mit der Migration verbundenen<br />
Marginalisierung sucht der Vater Selbstsicherheit aus seiner väterlichen Rolle und<br />
Verantwortung gemäß dem Wertesystem zu schöpfen, das für ihn früher, in Vietnam, soziale<br />
Selbstverständlichkeit und Egalität bedeutete. Angesichts der diese Rolle und Werte nicht<br />
anerkennenden Widerrede seines Kindes, das hier nicht nur für sich selbst, sondern quasi als<br />
Repräsentant der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu sprechen scheint, die der Vater<br />
<strong>unter</strong>bewusst mit der Verletzung seines Selbstwertgefühls in Verbindung bringt, hat jedoch<br />
diese Quelle der Selbstsicherheit stark an Glaubwürdigkeit verloren. Diese Erkenntnis fügt<br />
dem Vater eine erneute Verletzung zu, die er in seiner nun empfundenen Hilflosigkeit durch<br />
‚stures Beharren’ auf der ‚Tradition’ zu kompensieren sucht. Könnte der Vater sich in der<br />
Mehrheitsgesellschaft selbstverständlicher bewegen, so ließe diese Hilflosigkeit sicher nach,<br />
eine neue Selbstsicherheit könnte entstehen, die erst ermöglichen kann, dass aus dem<br />
434 Interview 8.<br />
435 Interview 5.<br />
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