Aus allen Quellen trinken - Gemeinsam unter einem Dach e.v.
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konfuzianischen Haupttugenden. Diese sind die Wohltätigkeit (nhan), also die Humanität<br />
oder ‚Nächstenliebe‘, die Rechtschaffenheit (nghia), also das rechte Handeln, die<br />
Wohlanständigkeit oder Schicklichkeit (le), das heißt die Fähigkeit, sich der eigenen Position<br />
innerhalb der Gesellschaft angemessen zu verhalten, soziale Normen zu achten, maßvoll zu<br />
sein und nicht nur zwischen richtig und falsch <strong>unter</strong>scheiden zu können, sondern auch<br />
dementsprechend zu handeln, das Wissen (tri) und schließlich die Gewissenhaftigkeit (tin),<br />
also die Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit. Als Idealprodukt der<br />
Selbstkultivierung gilt der ‚Erhabene Mensch‘ (quan tu), der, nachdem er sich ausreichend<br />
gebildet und seine Moral und seine politischen Fähigkeiten perfektioniert hat, in seiner<br />
Regierungsfunktion Vorbild für andere ist. 286<br />
Dieses Prinzip manifestierte sich in Vietnams Geschichte in der nach chinesischem Vorbild<br />
etablierten Institution des Mandarinats, des königlichen Beamtentums. Erstmals wurde im<br />
Jahre 1075 <strong>unter</strong> der Ly-Dynastie (1010-1225 n. Chr.) die Mandarinatsprüfung mit der<br />
konfuzianischen Lehre als Prüfungsgebiet abgehalten. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte<br />
entstanden im ganzen Land zahlreiche Schulen zur <strong>Aus</strong>bildung potentieller Beamter in den<br />
klassischen konfuzianischen Schriften. Während der Lê-Dynastie (1428-1788), <strong>unter</strong> der der<br />
Konfuzianismus zur offiziellen Staatsdoktrin erklärt wurde, entwickelte sich die<br />
Mandarinatsprüfung schließlich zum Hauptinstrument der königlichen Beamtenrekrutierung<br />
und war nun für die Mehrheit der männlichen Bevölkerung offen, wo vorher Herkunft und<br />
Beziehungen eine relativ große Rolle gespielt hatten. Die besten Absolventen der strengen<br />
Prüfung nahmen Stellungen als hohe Mandarine (Beamte) am königlichen Hof ein, standen<br />
sie in der Hierarchie der erfolgreichen Absolventen niedriger, erhielten sie niedrigere<br />
Verwaltungsposten oder kehrten in ihr Dorf zurück, wo sie oft Unterricht in den<br />
konfuzianischen Schriften gaben. In jedem Fall genossen sie in der Gesellschaft ein hohes<br />
Ansehen. Der konfuzianische Gelehrte gab sowohl in kulturellen, als auch in politischen<br />
Dingen den Ton an. 287 Während der Nguyen- Dynastie (1802-1945), der letzten königlichen<br />
Dynastie Vietnams, wurde die Mandarinatsprüfung zum einzigen Weg, der zum<br />
Beamtenstatus führte, das Studium des Konfuzianismus war somit zur Möglichkeit des<br />
sozialen Aufstiegs für Vietnamesen aller Schichten geworden. 288<br />
Auch die damalige soziale Rangordnung spiegelt den hohen gesellschaftlichen Stellenwert der<br />
Bildung wider: An erster Stelle stand der Gelehrte (si), dann kam der Bauer (nong), an dritter<br />
286 Vgl. Le Mong Chung 1992: 7-8.<br />
287 Vgl. ebenda: 3.<br />
288 Vgl. ebenda: 3.<br />
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