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Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer

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198 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />

schauen, – habe er lange vergeblich nach irgend jemand geforscht, der<br />

noch deutsch spräche. Endlich, so erzählt er, fand ich e<strong>in</strong>e achtzigjährige<br />

Frau, altersschwach und sehr schwerhörig, die mich, als ich mich ihr als<br />

Landsmann vorstellte, mit wahrer Herzlichkeit bei der Hand nahm und<br />

neben sich auf e<strong>in</strong>en Stuhl niederzog. Die gute Alte redete ihre Muttersprache<br />

<strong>in</strong> der That ganz deutlich, aber sie mußte oft lange nach dem<br />

Ausdruck suchen. Es ist so lange her, sagte sie zu mir, daß ich nichts anders<br />

mehr sprechen höre als spanisch. Sie sehen, ich b<strong>in</strong> sehr alt, ich b<strong>in</strong><br />

mehr als sechszig, ich b<strong>in</strong> mehr als siebzig – warten Sie, ich b<strong>in</strong> jetzt vier<br />

Thaler alt. Ich errieth, was sie sagen wollte. Das Wort achtzig war ihr entfallen<br />

und sie fand zu se<strong>in</strong>er Bezeichnung nichts näher liegendes als den<br />

Gedanken, so viel Jahre als vier Thaler Realen haben, den sie nicht <strong>in</strong> die<br />

gehörige Form zu br<strong>in</strong>gen wußte. Ihr Mann, der bald darauf e<strong>in</strong>trat, um<br />

zehn Jahre jünger, sprach ebenso gut, und er verstand mich besser als<br />

se<strong>in</strong>e Frau, welche über die Re<strong>in</strong>heit me<strong>in</strong>es Dialektes die unverholensten<br />

Zweifel laut werden ließ. Die beiden alten Leute waren gleichfalls<br />

<strong>in</strong> der Colonie geboren, und sie wußten mir den früheren Wohnort ihrer<br />

Eltern nicht anzugeben. Auf me<strong>in</strong>e Äußerung, daß dieselben vermuthlich<br />

vom Rhe<strong>in</strong> gekommen seien, mußte ich erfahren, daß ihre K<strong>in</strong>der<br />

den Rhe<strong>in</strong> selbst nicht e<strong>in</strong>mal dem Namen nach kannten.<br />

Der Gasthof, wo die Diligence anhielt, war <strong>in</strong>dessen so re<strong>in</strong>lich und<br />

deutsch heimlich, dabei hatten die Aufwärter<strong>in</strong>nen oder Töchter des<br />

Hauses so unverkennbare Zeichen ihrer Abstammung, nicht nur blonde<br />

Haare und blaue Augen, sondern auch der Ausdruck ihres Gesichts,<br />

die Bildung ihres Kopfes, ihre ganze Gestalt und Haltung er<strong>in</strong>nerte uns<br />

so sehr an die Heimath, daß wir ihnen unwillkürlich die Hand entgegenstreckten<br />

und auf gut schwäbische Art: grüß Gott! zuriefen. Doch<br />

erg<strong>in</strong>g es uns nicht e<strong>in</strong>mal wie dem ebengenannten Reisenden vor uns:<br />

im ganzen Hause wußte niemand mehr e<strong>in</strong> Wort von der Muttersprache<br />

der Großeltern. Der Wirth er<strong>in</strong>nerte sich als kle<strong>in</strong>er Knabe die für<br />

ihn fremde Sprache öfter gehört zu haben. Das war aber auch Alles.<br />

Längere Zeit nach dem Entstehen hatte man <strong>in</strong> la Carol<strong>in</strong>a noch Manches<br />

von deutschen Sitten und Gebräuchen beibehalten; so wurde an<br />

Sonn- und Festtagen bei Geigen- und Flötenklang unter der L<strong>in</strong>de getrunken<br />

und gewalzt, während von der andern Seite des Dorfes her die<br />

KAPITEL 16. EIN RITT NACH ANDALUSIEN. 199<br />

Guitarren schnarrten, die Castagnetten knackten und dazu der Fandango<br />

aufgeführt wurde. Vollkommen verschmolzen haben sich die deutschen<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong>wanderer auch heutigen Tages mit den Spaniern noch nicht;<br />

wenn sie auch jetzt die gleiche Sprache sprechen, so s<strong>in</strong>d sie doch eigen<br />

und abgesondert geblieben, und das nicht nur <strong>in</strong> Gesicht und Körperbau,<br />

sondern sogar <strong>in</strong> der Kleidung und ihrem Wesen. Erzählt doch Rochau<br />

ferner: Als ich <strong>in</strong> la Carol<strong>in</strong>a e<strong>in</strong>fuhr, schauten e<strong>in</strong> paar junge, frische<br />

Mädchen neugierig aus dem Gitterfenster e<strong>in</strong>es der ersten Häuser,<br />

und ich begrüßte sie auf den ersten Blick im Herzen als Landsmänn<strong>in</strong>nen.<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong> junger Offizier, me<strong>in</strong> Wagennachbar, der ohne Zweifel gleichfalls<br />

Rechte der Landsmannschaft gegen die hübschen Carol<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen<br />

zu haben glaubte, erlaubte sich, dieselben durch e<strong>in</strong>en artigen W<strong>in</strong>k mit<br />

der Hand geltend zu machen. <strong>E<strong>in</strong></strong> spanisches Landmädchen würde den<br />

Gruß des galanten Lieutenants wie e<strong>in</strong>en ganz erlaubten Scherz aufgenommen<br />

und vielleicht lachend erwidert haben, die beiden Carol<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen<br />

aber wandten sich beleidigt ab und klirrend flog das Fenster h<strong>in</strong>ter<br />

ihnen zu. Welch e<strong>in</strong> beredter Commentar zu den Gesichtern!<br />

Nachdem wir über e<strong>in</strong>e Stunde lang im Gasthof von la Carol<strong>in</strong>a zugebracht,<br />

fuhren wir gegen zehn Uhr weiter. Die Nacht war f<strong>in</strong>ster, und<br />

die Wagenlaternen zeigten nur die sche<strong>in</strong>bar vorüberhuschenden Bäume<br />

zu beiden Seiten des Weges. So viel ich aber an den gel<strong>in</strong>den Stößen<br />

des Wagens und dem sanften Neigen bald nach dieser, bald nach<br />

jener Seite merken konnte, war die Straße nicht schlecht, was auch das<br />

oftmals tolle Fahren des Mayorals bestätigte. Ich komme immer wieder<br />

auf die Behauptung zurück, daß die kolossalsten Nerven dazu gehören,<br />

um mit e<strong>in</strong>iger Behaglichkeit <strong>in</strong> spanischen Eilwägen, namentlich zur<br />

Nachtzeit, fahren zu können. Wenn ich mich auch zum Wagenfenster<br />

h<strong>in</strong>ausbog, so konnte ich doch nur <strong>in</strong> schwachen Umrissen das vordere<br />

Paar unserer acht Maulthiere erkennen und die auf- und abhüpfende<br />

Gestalt des kle<strong>in</strong>en Delantero.<br />

Da es beständig stark abwärts g<strong>in</strong>g, so durfte es der Zagal nicht wagen,<br />

viel auf- und abzuspr<strong>in</strong>gen, um die Thiere mit e<strong>in</strong>em Ste<strong>in</strong>wurf<br />

oder e<strong>in</strong>em tüchtigen Schlage anzutreiben. Doch saß er unruhig genug<br />

auf se<strong>in</strong>em Sitz, strampelte mit Händen und Füßen und schrie se<strong>in</strong>: Hatje,<br />

hatje! oder: anda Gitana! anda Capitana! oder wie die Thiere alle hei-

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