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Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer

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4 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />

Für Madrid ist dieser außerordentlich bescheiden. Bei uns hat die ger<strong>in</strong>gste<br />

Landstadt e<strong>in</strong>en weit prächtigern aufzuweisen. Dabei ist hier Alles<br />

so ruhig und still, den Zug verlassen kaum dreißig oder vierzig Personen,<br />

schweigsame Gestalten, den zugespitzten castilianischen Hut auf<br />

dem Kopf, fest <strong>in</strong> den langen braunen Mantel gewickelt; Gepäck ist so<br />

gut wie gar ke<strong>in</strong>es vorhanden, nur hie und da trägt Jemand e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es<br />

Bündel unter dem Arm. Wir nahmen unsere Koffer <strong>in</strong> Empfang und als<br />

wir nun an den Ausgang des Bahnhofgebäudes traten, mochten wir immer<br />

noch nicht recht glauben, daß wir uns <strong>in</strong> der nächsten Nähe von Madrid<br />

befänden. Vor uns auf e<strong>in</strong>er Anhöhe sahen wir freilich Häusermassen,<br />

aber da h<strong>in</strong>auf führte ke<strong>in</strong> ordentlicher Weg, denn was hier e<strong>in</strong>en<br />

solchen vorstellen sollte, war e<strong>in</strong>e breite, unergründliche, im Zickzack<br />

durch umherliegende Ste<strong>in</strong>haufen sich dah<strong>in</strong> ziehende Kothpfütze. Daß<br />

es nicht e<strong>in</strong>mal vor den Thoren der spanischen Hauptstadt e<strong>in</strong>e ordentliche<br />

Straße geben solle, war uns unfaßlich; ebensowenig bemerkten wir<br />

e<strong>in</strong>en Fiaker und das e<strong>in</strong>zige Beförderungsmittel war e<strong>in</strong> alter gebrechlicher<br />

Omnibus mit vier Pferden bespannt, dem wir uns anvertrauten,<br />

und der uns nach mehrmaligem Stehenbleiben die Höhe h<strong>in</strong>aufbeförderte.<br />

Ohne die ger<strong>in</strong>gste Übertreibung habe ich unsere Ankunft <strong>in</strong> Madrid<br />

geschildert, und fühle mich deßhalb um so mehr verpflichtet, zu<br />

sagen, daß sich der Anblick der Stadt wie mit e<strong>in</strong>em Zauberschlag änderte,<br />

sobald wir nur auf e<strong>in</strong>em ziemlich ordentlichen Pflaster bei den<br />

ersten Häusern vorbeigefahren waren. Man bef<strong>in</strong>det sich hier sogleich<br />

auf dem Prado, dem prächtigen Spaziergange mit dichten, dreifachen<br />

Ulmen-Alleen, mit Wegen für die Fußgänger, mit e<strong>in</strong>em Corso für die<br />

Wagen und Reiter, alles sorgfältig geebnet, mit Ste<strong>in</strong>bänken, prächtigen<br />

marmornen Spr<strong>in</strong>gbrunnen, und fährt so am Rande der Stadt h<strong>in</strong>, deren<br />

breite Straßen auf den Prado münden und die, da sie von ihm alle<br />

ansteigen, e<strong>in</strong> wahres Häusermeer übersehen lassen. Rechts haben wir<br />

das Nationalmuseum, die Artilleriekaserne, den botanischen Garten mit<br />

se<strong>in</strong>em unabsehbaren langen Eisengitter, h<strong>in</strong>ter welchem die berühmten<br />

Anlagen des Buen Retiro beg<strong>in</strong>nen. Dicht an der Straße steht der Obelisk,<br />

welcher das Volk von Madrid an die französische Gewaltherrschaft<br />

und an den blutigen zweiten Mai von 1808 er<strong>in</strong>nert. Jetzt biegt unser<br />

Omnibus l<strong>in</strong>ks <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Straße e<strong>in</strong>, es geht auf e<strong>in</strong>em guten Pflaster ziem-<br />

KAPITEL 12. MADRID. 5<br />

lich steil aufwärts an vier- bis fünfstöckigen Häusern vorbei und, auf der<br />

Höhe der Straße angelangt, kommen wir über e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en dreieckigen<br />

Platz (Plazuelade Cervantes), <strong>in</strong> dessen Mitte wir erfreut die Bronzestatue<br />

des unsterblichen Schöpfers des Don Quixote erblicken. Die langsame<br />

Bewegung des Wagens läßt uns Zeit, sie etwas genauer <strong>in</strong>s Auge<br />

zu fassen; sie ist nach dem Modell e<strong>in</strong>es spanischen Künstlers, aber<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er deutschen Werkstätte gegossen. Cervantes steht <strong>in</strong> vorschreitender<br />

Stellung, hält <strong>in</strong> der Rechten e<strong>in</strong>e Papierrolle, die andere Hand<br />

stützt sich auf das Degengefäß, doch sieht man dieselbe nicht, da der<br />

Mantel darüber fällt und so die Verstümmelung verbirgt, welche der<br />

große Nationalschriftsteller und tapfere Soldat <strong>in</strong> der Schlacht von Lepanto<br />

erhalten. Am Piedestal s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige Scenen aus dem Don Quixote<br />

<strong>in</strong> Bronze-Reliefen angebracht. So gut die Wirkung dieses Monuments<br />

an sich ist, so dürfte doch die ganze Masse desselben bedeutender se<strong>in</strong>,<br />

denn zu unserer Rechten erhebt sich <strong>in</strong> allzuger<strong>in</strong>ger Entfernung die<br />

schöne Façade des Palastes der Cortes, <strong>in</strong> deren Mitte e<strong>in</strong>e majestätische<br />

Colonnade von granitnen kor<strong>in</strong>thischen Säulen und e<strong>in</strong>em edel componirten<br />

Giebelfeld aus weißem Marmor herrisch über den Platz here<strong>in</strong>ragt;<br />

gewaltige Löwen von Bronze auf den Flügelmauern der breiten<br />

Marmortreppe als Anspielung auf das spanische Wappen bewachen den<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong>gang, und die ganze schön gegliederte Gebäudegruppe erweckt e<strong>in</strong>e<br />

sehr günstige Me<strong>in</strong>ung für die gediegene Richtung der modernen spanischen<br />

Architektur.<br />

Was wir seit unserem <strong>E<strong>in</strong></strong>tritt <strong>in</strong> die Stadt sahen, hat e<strong>in</strong>en großen<br />

<strong>E<strong>in</strong></strong>druck auf uns hervorgebracht und Madrid ist <strong>in</strong> unserer Achtung<br />

bedeutend gestiegen; freilich rollen wir jetzt durch e<strong>in</strong>e engere Straße,<br />

die Carrera San Geronimo, abwärts bei unbedeutenden, gänzlich uniformen<br />

Häusern vorbei, deren Läden und Magaz<strong>in</strong>e mit wenig Ausnahmen<br />

durchaus ke<strong>in</strong>en großstädtischen Charakter haben. Jetzt hält der<br />

Omnibus auf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Platze vor e<strong>in</strong>er ziemlich geschmacklosen<br />

und unbedeutenden Kirchenfronte, e<strong>in</strong>em Platze so kle<strong>in</strong>, daß er eher<br />

e<strong>in</strong> Carrefour genannt werden dürfte, da er kaum Raum bietet für die<br />

Massen der Wagen und Fußgänger von sechs Hauptstraßen der Stadt,<br />

die sich hier kreuzen und münden. Wir steigen aus und schauen uns e<strong>in</strong>igermaßen<br />

verwundert an, als uns der Omnibusführer ankündigt, daß

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