Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
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386 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />
Natur, der atlantische Ocean <strong>in</strong> unerforschlicher Tiefe immer und immerfort<br />
<strong>in</strong>’s Mittelmeer h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>sendet.<br />
Trotzdem aber arbeitete Don Manuel wacker vorwärts, und <strong>in</strong> kurzer<br />
Zeit trat der eigenthümlich geformte Felsen von Gibraltar vor unsere<br />
Augen. R<strong>in</strong>gsumher erhoben sich im weiten Kreise schöne hohe Berge,<br />
den Meerstrom so e<strong>in</strong>schließend, daß man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em weiten See zu fahren<br />
glaubt. Noch e<strong>in</strong>e halbe Stunde und unser kle<strong>in</strong>er Dampfer ließ se<strong>in</strong>en<br />
Anker <strong>in</strong> dem weiten Hafen von Gibraltar, nahe bei Algesiras, fallen.<br />
Da es noch ziemlich früh am Tage war, so mußten wir längere Zeit<br />
auf Boote warten, die uns an’s Land br<strong>in</strong>gen sollten; doch hatten wir<br />
hier so viel Prachtvolles zu sehen, daß uns dieser Aufenthalt nicht lang<br />
däuchte. Auf der großen Bai schaukelte e<strong>in</strong>e Menge Schiffe, kle<strong>in</strong>e Küstenfahrer<br />
und Kauffahrteischiffe mit den Wimpeln aller Nationen, dazwischen<br />
aber lagen schwarz und f<strong>in</strong>ster große englische Kriegsdampfer,<br />
gewaltige Fahrzeuge, meistens mit zwei Schornste<strong>in</strong>en, welche mit<br />
Soldaten, Pferden und Kriegsbedürfnissen aller Art nach dem Orient<br />
g<strong>in</strong>gen, wo das blutige Kriegsspiel schon begonnen hatte. Zahlreiche<br />
Boote vermittelten die Verb<strong>in</strong>dung der Schiffe mit dem Lande. H<strong>in</strong>ter<br />
dem Mastenwalde erhob sich die Stadt Gibraltar, amphitheatralisch an<br />
den Felsen h<strong>in</strong>angebaut, die Häuser s<strong>in</strong>d meistens mit dunklen Farben<br />
angestrichen, sche<strong>in</strong>en auch schlecht gebaut, und bieten so, wenn man<br />
an das glänzende Cadiz denkt, e<strong>in</strong>en düstern und traurigen Anblick.<br />
H<strong>in</strong>ter der Stadt erhebt sich nun <strong>in</strong> den bekannten, riesenhaften, so malerischen<br />
Verhältnissen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zigen Masse aufsteigend, der Felsen<br />
von Gibraltar, das alte Calpe; nach Osten zu stürzt er fast senkrecht<br />
<strong>in</strong>’s Meer, e<strong>in</strong> zwölfhundert Fuß hohes Vorgebirge bildend; se<strong>in</strong>e Abdachungen<br />
nach Süden und Westen s<strong>in</strong>d sanfter, aber immer noch nach<br />
militärischen Begriffen unersteiglich; gegen Norden, wo die Felswände<br />
gleich riesenhaften Mauern aufsteigen, hängt er mit <strong>Spanien</strong> durch e<strong>in</strong>e<br />
schmale Landzunge zusammen, e<strong>in</strong> neutraler Grund, der ganz flach<br />
und eben nur wenige Fuß über dem Meere erhaben liegt. Sehr leicht wäre<br />
es, diesen Isthmus vermittelst e<strong>in</strong>es Kanals zu durchschneiden und so<br />
Gibraltar zu e<strong>in</strong>er Insel zu machen, wodurch der wirklich unverschämte<br />
Schmuggelhandel hier erschwert würde und hauptsächlich die von Malaga<br />
kommenden Schiffe das Vorgebirge nicht zu umschiffen brauchten,<br />
KAPITEL 21. NACH GIBRALTAR. 387<br />
was bei stürmischem Wetter häufig nicht ohne Gefahr geschehen kann.<br />
<strong>E<strong>in</strong></strong> eigenthümliches Spiel der Natur ist es, daß der Felsen von Gibraltar<br />
von der Bai, mehr aber noch von der Landzunge aus gesehen,<br />
die Gestalt e<strong>in</strong>es riesenhaften, ruhenden Löwen hat. Auf der äußersten<br />
Spitze se<strong>in</strong>es Rückens steht der alte von Taric erbaute Saracenenthurm,<br />
daneben das weiße englische Wachthaus mit se<strong>in</strong>em Signalmaste, an<br />
dem große schwarze Kugeln verkünden, daß am fernen Horizonte im<br />
Osten oder Westen Schiffe ersche<strong>in</strong>en. Hoch oben aber flattert die Fahne<br />
Englands, weith<strong>in</strong> sichtbar, und so anzeigend, daß sie es ist, welche hier<br />
am <strong>E<strong>in</strong></strong>gänge des Mittelmeers drohend Wache hält. Gegen Norden nach<br />
dem Lande zu erhoben sich schon zur Zeit der Mauren vier befestigte<br />
L<strong>in</strong>ien über e<strong>in</strong>ander; von den heutigen Festungswerken, den berühmten<br />
<strong>in</strong> Felsen gehauenen Batterien, entdeckt man von unten ke<strong>in</strong>e Spur;<br />
nur sieht man auf dem Kopfe des Löwen feste, trotzige Mauern; <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
Brust, die er kühn dem Festland entgegenwendet, bef<strong>in</strong>den sich jene<br />
furchtbaren Kanonenhöhlen, und wenn wir auch vielleicht dort oben<br />
zwischen wehenden Gebüschen undeutlich e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e schmale Felsspalte<br />
entdecken, so können wir unmöglich glauben, daß es e<strong>in</strong>e jener<br />
Schießscharten sei, aus denen dem Angreifer Kugeln des schwersten Kalibers<br />
entgegenfliegen. Von den Festungswerken auf der westlichen, uns<br />
und dem spanischen Algesiras zugewendeten Seite, unten am Hafen,<br />
sehen wir zwei aus Granit schief <strong>in</strong> das Meer h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gebaute Hafendämme,<br />
die beiden Molo’s, welche mit Geschützen des schwersten Kalibers<br />
besetzt s<strong>in</strong>d.<br />
Über den Namen Gibraltar, das alte Heraklia, gibt es verschiedene<br />
Lesarten; nach <strong>E<strong>in</strong></strong>igen soll es Giebel-Thor heißen, Bergthurm, nach Andern<br />
Dschebel el Taric, Berg des Taric, weil der tapfere arabische Feldherr<br />
hier 714 mit se<strong>in</strong>en Mauren landete.<br />
Es schien mir, als habe der Kapitän des Don Manuel <strong>in</strong> die Aufhebung<br />
der Quaranta<strong>in</strong>e hier noch ke<strong>in</strong>en rechten Glauben gesetzt; denn<br />
statt dicht bei Gibraltar hatte er sich so nahe an Algesiras gelegt, daß uns<br />
die dortigen Bootführer als ihre Beute beanspruchten, mit e<strong>in</strong>er ziemlich<br />
großen Fähre vor unsern Dampfer kamen und uns abholten. An der spanischen<br />
Küste befand sich e<strong>in</strong> altes Pfahlwerk <strong>in</strong> die Bucht h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gebaut,<br />
wo Boot und Nachen bei ganz ruhiger See anzulegen schienen; heute