Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
338 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />
Fremden trotz se<strong>in</strong>er Trümmer zu fesseln versteht, ihm nach kurzer Zeit<br />
wie e<strong>in</strong>e Heimath ersche<strong>in</strong>t, könnte mit dem ewigen Rom verglichen<br />
werden, die liebe Stadt, so heimisch für e<strong>in</strong> stilles, denkendes, ruhiges<br />
Gemüth. Sevilla aber ist e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es, spanisches Paris, und für den, der<br />
das Leben <strong>in</strong> vollen Zügen genießen will, für e<strong>in</strong> lustiges, übersprudelndes<br />
Gemüth, und nirgends fühlt sich die malerische Majotracht besser<br />
zu Hause, als hier <strong>in</strong> den Gassen von Sevilla; nirgendwo paßt sie aber<br />
auch besser h<strong>in</strong> und wenn wir e<strong>in</strong>en dieser jungen, frischen Andalusier<br />
über den Platz galoppiren sehen, stolz um sich blickend, als gehöre ganz<br />
<strong>Spanien</strong> se<strong>in</strong>, wenn sich dann bedächtig droben an e<strong>in</strong>em Balkon e<strong>in</strong><br />
vergittertes Fenster öffnet und e<strong>in</strong> schöner Mädchenkopf sichtbar wird,<br />
vielleicht dah<strong>in</strong>ter das alte Gesicht e<strong>in</strong>er mürrischen Duenna oder e<strong>in</strong>es<br />
alten Gemahls, so haben wir die Staffage, welche alle<strong>in</strong> auf die Straßen<br />
von Sevilla paßt. Ebenso, wenn wir Nachts umherwandeln, wenn<br />
der glänzende Mond am Himmel die schmalen, krummen Straßen nicht<br />
erleuchtet, sondern nur dazu dient, die Schatten der eigens<strong>in</strong>nig hervorspr<strong>in</strong>genden<br />
Häuserecken noch dunkler und schwärzer zu machen,<br />
so f<strong>in</strong>den wir es ganz begreiflich, irgendwo Stimmen flüstern zu hören,<br />
oder den Klang e<strong>in</strong>er Guitarre mit den bekannten eigenthümlichen Accorden<br />
den Gesang begleitend, dessen Thema immer e<strong>in</strong> und dasselbe<br />
ist:<br />
Amor que non pena,<br />
Non pida placer,<br />
Quo ya lo condena,<br />
Su poco querer:<br />
Mejor es perder,<br />
Placer por dolores,<br />
Que estar s<strong>in</strong> amores.<br />
Es ist wunderbar, wie große Geister es verstehen, den Charakter e<strong>in</strong>er<br />
Zeit, e<strong>in</strong>es Landes, e<strong>in</strong>er Stadt wieder zu geben, die ihnen ferne lag, die<br />
sie vielleicht nie gesehen; so der große Meister Ross<strong>in</strong>i <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em herrlichen<br />
Barbier. Wandelt man durch die Gassen Sevilla’s, e<strong>in</strong>e dieser frischen,<br />
lebenslustigen Melodieen summend, so ist es gerade, als könnten<br />
diese hier und nirgend anderswo erdacht se<strong>in</strong>. Gerade so freundlich, so<br />
KAPITEL 20. SEVILLA. 339<br />
neckisch und zuthunlich wie sie ersche<strong>in</strong>en Häuser, Plätze, Straßen und<br />
die ganze Bevölkerung Sevilla’s.<br />
Obgleich die Stadt durch und durch spanisch oder vielmehr ächt andalusisch<br />
ist, so hat sie doch ke<strong>in</strong>en scharf ausgeprägten Charakter, er<strong>in</strong>nert<br />
weder an die vergangene Zeit, noch an die oftmals geschmacklose<br />
Architektur unserer Tage. Sie ist, wo man sie betrachten mag, gleich<br />
jung, gleich frisch, ohne e<strong>in</strong>en oftmals faden Anstrich der Neuheit. Sevilla<br />
hat viele und prachtvolle alterthümliche Bauwerke, aber sie treten<br />
nicht hervor, sie dom<strong>in</strong>iren nicht, und das e<strong>in</strong>zige von ihnen, welches<br />
man beständig vor Augen hat, der wunderbare Thurm der Kathedrale,<br />
die Giralda, blickt mit se<strong>in</strong>en reizenden arabischen Formen und Verzierungen<br />
so fröhlich und glücklich auf das Häusermeer, wie e<strong>in</strong> vergnügter<br />
Großvater, der sich beständig neu verjüngt im Anblick des Glücks<br />
se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>der.<br />
Die Straßen Sevilla’s s<strong>in</strong>d enge und gewunden, aber freundlich durch<br />
die Re<strong>in</strong>lichkeit, die <strong>in</strong> ihnen herrscht, und durch die Häuser, welche<br />
sie bilden, die weder groß noch kle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d, und von denen ke<strong>in</strong>es dem<br />
andern gleicht, obgleich sie alle e<strong>in</strong>en unverkennbaren Familienzug haben.<br />
Bald sehen wir gerade L<strong>in</strong>ien mit hellen, freundlichen Bogenfenstern,<br />
bald vorspr<strong>in</strong>gende Erker mit kunstreich verschlungenen Gittern;<br />
hier haben wir e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Balkon, dem e<strong>in</strong> We<strong>in</strong>stock, der sich am<br />
Hause emporrankt, Schatten gibt, dort spr<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> anderer weit <strong>in</strong> die<br />
Straße vor und von der Höhe se<strong>in</strong>er Thüre über die Brüstung herab<br />
hängt e<strong>in</strong> bunter Teppich oder e<strong>in</strong>e Strohmatte, so e<strong>in</strong> kühles Plätzchen<br />
bildend. Viele Häuser, namentlich an kle<strong>in</strong>en Plätzen, haben im untern<br />
Stock auf Säulen ruhende Façaden, <strong>in</strong> deren H<strong>in</strong>tergrunde sich Läden<br />
aller Art bef<strong>in</strong>den. Öfters bemerkte ich an e<strong>in</strong>er dieser Säulen etwas<br />
wie e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es, grün angestrichenes Jalousielädchen, das Zeichen e<strong>in</strong>er<br />
Barbierstube, wie bei uns die kupfernen Becken, und sehr zahlreich<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Sevilla die Nachkommen Figaro’s. In allen spanischen Städten,<br />
die wir noch gesehen, namentlich aber hier ist man überrascht von der<br />
Re<strong>in</strong>lichkeit der Straßen und Häuser; hat man doch so viel gehört vom<br />
Schmutze des Südens und manches gesehen und gerochen, wenn man<br />
Italien besucht. Aber auch hier<strong>in</strong> unterscheiden sich diese beiden Länder<br />
zum Vortheil <strong>Spanien</strong>s. Gewiß ist die hiesige Sauberkeit <strong>in</strong> Allem