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Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer

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66 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />

San Lorenzo nach Madrid <strong>in</strong> das königliche Museum gebracht, und obgleich<br />

auch während der Franzosenzeit viele werthvolle Stücke verloren<br />

gegangen s<strong>in</strong>d, so bef<strong>in</strong>den sich doch noch <strong>in</strong> den Gängen und Zimmern<br />

des Escorial wohl an sechshundert Bilder, unter denen gewiß zwei<br />

Drittel Werke von großen Meistern, Spaniern, Niederländern und Deutschen,<br />

unter letzteren namentlich von Albrecht Dürer.<br />

Daß wir, selbst beim Beschauen dieser Gegenstände von hohem Interesse,<br />

auch unserem bl<strong>in</strong>den Führer häufig die Blicke zuwandten, wird<br />

man gewiß begreiflich f<strong>in</strong>den; er führte aber auch se<strong>in</strong> Amt mit e<strong>in</strong>er<br />

staunenerregenden Sicherheit. Während er beim Vorwärtsschreiten die<br />

rechte Hand auf die Schulter se<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Enkel<strong>in</strong> hielt, hatte er <strong>in</strong> der<br />

l<strong>in</strong>ken e<strong>in</strong>en langen Stab, auf den er sich im Gehen stützte und ihn nur<br />

zuweilen tastend vor sich h<strong>in</strong> streckte. Kaum waren wir <strong>in</strong> das Kloster<br />

e<strong>in</strong>getreten, so f<strong>in</strong>g er auch sogleich se<strong>in</strong>e Erklärungen an, nannte uns<br />

die Zahl der Säulen, der Treppenstufen und dergleichen, wobei er nicht<br />

unterließ, bald hierh<strong>in</strong>, bald dorth<strong>in</strong> zu zeigen und uns auf die Schönheit<br />

dieser oder jener Ausführung aufmerksam zu machen. In der That<br />

höchst merkwürdig war es aber, als er uns die Deckengemälde über der<br />

großen Haupttreppe, die am Apostelhofe liegt, erklärte. Schon als wir<br />

h<strong>in</strong>aufstiegen, sagte er: Wenn Sie <strong>in</strong> die Höhe blicken, so werden Sie<br />

aus dem berühmten Bilde des Giordano die und die schöne Gruppe vor<br />

sich sehen; bemerken Sie dieß und das, es s<strong>in</strong>d die schönsten Stellen im<br />

Bild. Oben angekommen erklärte er uns nun jedes <strong>E<strong>in</strong></strong>zelne nach se<strong>in</strong>en<br />

Haupt- und Nebengruppen, <strong>in</strong>dem er mit se<strong>in</strong>em Stocke darauf h<strong>in</strong>wies<br />

und oftmals e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>zelnen hervorragenden Person nicht vergaß; ich<br />

muß gestehen, daß wir den Versuch machten, ihn irre zu führen, weil<br />

man uns versichert hatte, das sei unmöglich, so genau habe er Lokalitäten<br />

und alle Sehenswürdigkeiten se<strong>in</strong>em Gedächtniß e<strong>in</strong>geprägt. Und<br />

so war es auch. Ich stand neben ihm, er hatte mir das Bild vor uns erklärt,<br />

worauf ich mit e<strong>in</strong>emmal von dem Gemälde sprach, welches h<strong>in</strong>ter<br />

uns lag und er mir alsbald erwiederte: Ah, Sie me<strong>in</strong>en das <strong>in</strong> unserem<br />

Rücken! dort ist die Figur, von der Sie reden. Damit wandte er sich<br />

um, und so ward es uns leicht, ihn durch Bemerkungen zu veranlassen,<br />

sich häufig ganz herumzudrehen, worauf er denn zuletzt ohne Hülfe<br />

weiter schritt den langen Corridor h<strong>in</strong>ab, bei mehreren unbedeutenden<br />

KAPITEL 13. ESCORIAL. 67<br />

Gemälden vorbei und endlich mit der größten Sicherheit vor e<strong>in</strong>em stehen<br />

blieb, das er uns ebenfalls erklärte. Ebenso auffallend war die Genauigkeit,<br />

mit welcher er uns den engen Weg zur Kuppel h<strong>in</strong>aufführte;<br />

Treppen und Gänge dah<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d anfänglich <strong>in</strong> die granitnen Mauern der<br />

Kirche gehauen oder vielmehr beim Bauen ausgespart und oft so eng,<br />

daß <strong>E<strong>in</strong></strong>er h<strong>in</strong>ter dem Anderen gehen muß. In der Höhe der Gewölbebogen<br />

führt dieser Gang r<strong>in</strong>gs um das Langhaus, die Kreuzarme und<br />

den Chor herum und ist <strong>in</strong> schw<strong>in</strong>delnder Höhe zu oberst über den Retabel<br />

des Hochaltars weggeführt, wo uns der bl<strong>in</strong>de Führer an den Gewändern<br />

der hochstehenden Bronzestatuen vorbei und durch die herabhängenden<br />

Zipfel ihrer Mäntel schlüpfen ließ. Häufig kann man auf<br />

diesem Wege e<strong>in</strong>en Blick <strong>in</strong> die Kirche werfen, und bei jeder dieser Stellen<br />

blieb unser Führer stehen, wandte se<strong>in</strong>e starren, glanzlosen Augen <strong>in</strong><br />

den weiten Raum h<strong>in</strong>ab und konnte zum Beispiel sagen: Wenn Sie rechts<br />

bei dem Pfeiler, der gerade vor Ihnen steht, vorbei sehen, so haben Sie<br />

e<strong>in</strong>en hübschen Blick auf den prächtigen Kronleuchter von Bergkrystall,<br />

welcher von hier so ganz eigenthümlich funkelt.<br />

Aufwärts zur Kuppel führt e<strong>in</strong>e bequeme Treppe durch e<strong>in</strong>en der riesenhaften<br />

Pfeiler des majestätischen Unterbaues, doch gelangt man über<br />

sie nur bis zu dem mit Blei gedeckten Kranze, der den Fuß der Kuppel<br />

umgibt. Überrascht hat uns die eiserne Consequenz <strong>in</strong> diesem Bauwerke,<br />

auch bei der Bedeckung der Kuppel, welche nicht etwa aus Kupfer<br />

oder Blei besteht, sondern die gekrümmte Fläche ist ebenfalls aus mächtigen<br />

Granitquadern zusammengefügt, <strong>in</strong> die zum Weiterh<strong>in</strong>aufsteigen<br />

von außen Stufen gehauen s<strong>in</strong>d. Ist diese Ersteigung bei gewöhnlichem<br />

Wetter schon ziemlich gefährlich, so wäre es heut bei starkem Glatteise,<br />

welches den Bleiboden, die Eisenstangen des Geländers, ja selbst<br />

die rauhen Granitquadern mit e<strong>in</strong>er spiegelglatten Kruste überzog, e<strong>in</strong><br />

Wahns<strong>in</strong>n gewesen, höher h<strong>in</strong>aufzuklettern um so mehr, da die Aussicht<br />

hier oben nicht besonders belohnend ist; man sieht gegen Norden dicht<br />

vor sich den Gebirgszug des Guadarrama, auf dieser Stelle fast ohne alle<br />

Vegetation, jetzt e<strong>in</strong>igermaßen belebt durch lange Schneestreifen <strong>in</strong><br />

Vertiefungen und Schluchten, durch welche die zackigen und zerklüfteten<br />

Felspartien noch schärfer hervortraten. Gegen Süden und Osten<br />

haben wir vor uns das grün bewachsene Thal bis an den Fuß des Hü-

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