Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
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216 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />
im Todeskampfe Arme und Hände krampfhaft von sich streckten, denen<br />
Füllhorn und Bogen längst entfallen war. Die Gartenbeete waren<br />
kaum noch sichtbar durch e<strong>in</strong>ige <strong>E<strong>in</strong></strong>fassungste<strong>in</strong>e und e<strong>in</strong> paar wuchernde<br />
Blumenpflanzen, die sich von Generation zu Generation fortgepflanzt<br />
und immer kümmerlicher geworden waren. Auch e<strong>in</strong> ehemaliger<br />
Spr<strong>in</strong>gbrunnen befand sich hier unten, aber se<strong>in</strong> Wasser war versiegen<br />
gegangen und die marmorne Schale wurde zum Kehrichtfaß benutzt.<br />
Das e<strong>in</strong>zige Freundliche und Angenehme <strong>in</strong> dieser verwahrlosten<br />
Umgebung war e<strong>in</strong> lebendiges Reh, das unten vor me<strong>in</strong>em Fenster angebunden<br />
war und welches dankbar die Stückchen Brod aufsuchte und<br />
fraß, welche ich ihm h<strong>in</strong>unter warf, wobei es mich so lieb und ehrlich<br />
mit se<strong>in</strong>en großen glänzenden Augen ansah.<br />
Unser heutiges Mittagessen war <strong>in</strong>soweit besser, als wir ke<strong>in</strong>e st<strong>in</strong>kende<br />
Fischsuppe hatten, auch wagte Niemand e<strong>in</strong>e tadelnde Bemerkung<br />
laut werden zu lassen, da Don Ramiro mit so furchtbarem Blicke<br />
ab- und zug<strong>in</strong>g, daß wir nicht anders erwarten konnten, als daß die ger<strong>in</strong>gste<br />
Klage unsererseits e<strong>in</strong>en schrecklichen Mord nach sich ziehen<br />
würde.<br />
Auf der Post hatten wir die Plätze nach Granada vormerken lassen,<br />
und da wir von hier aus die Ersten waren, so konnten wir hoffen befördert<br />
zu werden, wenn nicht, wie das häufig vorkam, der Wagen vollkommen<br />
besetzt war; dann blieb uns nur übrig, zu warten oder weiter<br />
zu reiten. – Dießmal aber hatten wir Glück, denn schon um halb Zwei<br />
wurden wir vom Mozo des Hauses mit der freundlichen Botschaft geweckt,<br />
die Diligence von Baylen sei angekommen und habe drei außerordentlich<br />
schöne Plätze für uns. Schnell waren wir reisefertig, hatten<br />
aber noch e<strong>in</strong>en sehr ergötzlichen Zwischenfall mit Don Ramiro, der uns<br />
mit der Versicherung, er habe uns als Freunde behandelt, e<strong>in</strong>e so unverschämte<br />
Rechnung übergab, daß wir laut lachen mußten. Ich strich ihm<br />
e<strong>in</strong>fach über e<strong>in</strong> Drittel herunter und zählte ihm das Geld auf, das er anfänglich<br />
schwur, nicht nehmen zu wollen: Entweder die ganze gerechte<br />
Summe oder gar nichts, sagte er. Als ich mich aber anschickte, ihm im<br />
Letzteren se<strong>in</strong>en Willen zu thun, zog er andere Saiten auf, d. h. er strich<br />
se<strong>in</strong> Geld e<strong>in</strong> und verließ uns mit e<strong>in</strong>em sehr steifen Kopfnicken.<br />
Über unsere Plätze im Eilwagen hatten wir uns nicht zu beklagen;<br />
KAPITEL 17. JAEN. 217<br />
alle drei, waren im Interieur, doch machte mir der Mayoral Hoffnung<br />
auf e<strong>in</strong>en Platz im Coupé von Campillo de arenas an, den ich auch alsdann<br />
richtig erhielt, und mich nun vorn <strong>in</strong> dem breiten Wagen alle<strong>in</strong><br />
mit e<strong>in</strong>em Geistlichen befand, und was das Sitzen anbelangte, aufs Allerbehaglichste<br />
versorgt war. Mit dem Fahren und dem Wege dagegen<br />
hatten wir wieder das alte spanische Elend; die gute Straße von Baylen<br />
nach Jaen hörte hier sogleich auf, und des Rüttelns und Stoßens,<br />
des H<strong>in</strong>- und Herwankens und der ewigen Aussicht, umgeworfen zu<br />
werden, war ke<strong>in</strong> Ende. Dabei gab mir der Mayoral fast auf jeder Station<br />
die untröstliche Versicherung, es komme immer schlimmer. Und<br />
wahrlich, der Mann hatte Recht. Von e<strong>in</strong>er solchen Fahrt kann man e<strong>in</strong>em<br />
deutschen Gemüthe, das nichts ähnliches gefühlt, ke<strong>in</strong>en Begriff<br />
machen. Am tollsten wurde es, als wir Nachmittags höhere Berge zu<br />
passiren hatten; hier war die Straße durch herabstürzende, Bergwasser<br />
oft so ausgewaschen, daß bald die Räder auf der rechten, bald auf der<br />
l<strong>in</strong>ken Seite <strong>in</strong> schuhtiefe Löcher e<strong>in</strong>sanken, wobei sich der Wagen krachend<br />
neigte und erst <strong>in</strong> geraumer Zeit wieder aufzurichten im Stande<br />
war. Ich möchte fast behaupten, bei diesen grundlosen Straßen ist das<br />
tolle Jagen der spanischen Postillone e<strong>in</strong>e Nothwendigkeit; der Wagen,<br />
der von e<strong>in</strong>em Loch, <strong>in</strong> das andere gerissen wird, kommt nicht zur Bes<strong>in</strong>nung<br />
und hat ke<strong>in</strong>e Zeit umzuwerfen, denn kaum macht er hiezu<br />
e<strong>in</strong>mal ernstliche Anstalten, so hetzen Mayoral, Zagal und Delantero<br />
mit Geschrei und Peitschenhieben die Zugthiere, daß sie <strong>in</strong> tollem Jagen<br />
die stürzende Diligence wieder aus den Untiefen aufs feste Land reißen.<br />
Zum Überflusse und für uns vornen im Coupé zu sehr unangenehmer<br />
Ansicht hatten wir von Cortijo de Andar e<strong>in</strong>e andere schwerbepackte<br />
und lang bespannte Diligence vor uns, deren wahrhaft erschreckende<br />
Sprünge die steilen Berge h<strong>in</strong>ab, sowie das verdächtige Schwanken<br />
uns beständig anzeigte, daß es uns an derselben Stelle gerade so gehen<br />
würde. Wir nannten die Diligence vor uns nur den Probirwagen, und<br />
so lange dieser nicht auf der Seite lag, hatten auch wir gute Hoffnung.<br />
Unserem Mayoral diente er <strong>in</strong> der That auch als Wegweiser, denn e<strong>in</strong><br />
paarmal, wo der Vordere <strong>in</strong> tiefe Löcher e<strong>in</strong>sank und auf Augenblicke<br />
stecken blieb, vermieden wir diese Stelle und kamen glücklich durch.<br />
So erreichten wir Nachmittags gegen fünf Uhr die letzte Station vor