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Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer

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14 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />

Hauptstadt dagegen kann man sich die Mühe ersparen, alle Straßen zu<br />

durchlaufen: e<strong>in</strong>e ist wie die andere, und es ist sehr schwer, die e<strong>in</strong>e<br />

oder die andere lebhaft <strong>in</strong> der Er<strong>in</strong>nerung zu behalten. Auffallend ist<br />

die Abwesenheit großer Kirchen, und die meisten s<strong>in</strong>d bloß e<strong>in</strong>schiffige;<br />

man sieht zwar zahllose Glockenthürmchen, aber nirgends die imposante<br />

Masse e<strong>in</strong>es Doms.<br />

Auch an Plätzen und Märkten ist die Stadt sehr arm; die Plaza de<br />

Cebado ist fast r<strong>in</strong>gsum von elenden Baraken e<strong>in</strong>gefaßt, und der <strong>in</strong>teressanteste<br />

ist wohl die Plaza mayor, an der Calle mayor, nicht sehr weit<br />

von der Puerta del Sol. Man betritt ihn, von weitem schon durch e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Mitte stehende bronzene Reiterstatue angezogen, durch e<strong>in</strong>en<br />

großen Thorbogen, und bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em länglichen Viereck dicht<br />

ane<strong>in</strong>ander gebauter Häuser im Bern<strong>in</strong>ischen Perückengeschmack, aber<br />

lange nicht von der Ausdehnung des Hofs des Pariser Palais royal. Der<br />

bedeckte Gang, der unter den Häusern h<strong>in</strong>läuft und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>tergrund<br />

unbedeutende Boutiquen enthält, ruht auf Granitpfeilern, die, wo<br />

e<strong>in</strong>e bedeutendere Straße, wie die Calle Toledo oder die Zugänge von<br />

der Calle mayor, auf den Platz e<strong>in</strong>münden, sich zu hohen Bogen aufwölben.<br />

Das öffentliche Gebäude <strong>in</strong> der Mitte der Langseite, das die<br />

große marmorne Inschrift: Plaza de la Constitucion trägt, ist wohl das<br />

e<strong>in</strong>zige, welches bei dem Umbau dieses Platzes se<strong>in</strong>e alte Form ganz behalten<br />

hat; die grauen Mauern haben zahlreiche, ziemlich geschmacklos<br />

verzierte Fenster und Giebel, das Dach erhebt sich zwischen allerlei<br />

phantastischem Schnörkelwerk. Dieser Platz hat e<strong>in</strong>e sehr traurige<br />

und blutige Geschichte. Früher wurden hier ausnahmsweise die großen<br />

glänzenden Stiergefechte, welche der Hof veranstaltete, gehalten; <strong>in</strong> diesem<br />

Fall ward der Platz dick mit Sand bestreut. Schranken erhoben sich<br />

r<strong>in</strong>gs umher, und an den Fenstern, die noch heute numerirt s<strong>in</strong>d, wo<br />

sich die Zuschauer befanden, sah man bunte Decken und Teppiche herabflattern.<br />

An dem oben erwähnten alten Gebäude bemerkt man noch<br />

jetzt die breiten Fenster, wo sich der königliche Hof befand. Dort blickte<br />

wohl Philipp II. e<strong>in</strong>st auf den Platz herab, und die spanischen Damen<br />

und Edelfräule<strong>in</strong> verbargen das Gesicht h<strong>in</strong>ter ihrem Fächer, wenn<br />

e<strong>in</strong> gefeierter Torrero <strong>in</strong> den Fall kam, von den Hörnern des wüthenden<br />

Stiers gespießt zu werden, oder auch wenn bei e<strong>in</strong>em andern Schauspiel<br />

KAPITEL 12. MADRID. 15<br />

der Rauch von brennendem Holz und versengten Knochen gar zu heftig<br />

emporqualmte, denn auf der Plaza mayor wurden neben den Stiergefechten<br />

hauptsächlich die zahlreichen Auto da Fe’s abgehalten, welche<br />

mit ihren gräßlichen Flammen Philipps Regierungszeit so schauerlich<br />

beleuchteten. Unter der königlichen Loge bemerkt man noch heute die<br />

alte Uhr, welche den Anfang dieser Schauspiele zeigte, und die kle<strong>in</strong>e<br />

Glocke, welche jetzt so heiser anschlägt, ward wohl schaudernd vernommen<br />

von Hunderten der Unglücklichen, die hier verbrannt wurden.<br />

Das Straßenleben von Madrid ist wohl nur mit dem von Neapel zu<br />

vergleichen. Paris <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en besuchtesten Straßen zeigt nicht e<strong>in</strong>mal so<br />

se<strong>in</strong>e Bevölkerung, und Piccadilly und der Strand <strong>in</strong> London haben e<strong>in</strong>e<br />

ganz andere Art von Bewegung. Dort schiebt sich auch e<strong>in</strong>e endlose<br />

Menschenmenge an e<strong>in</strong>ander vorbei, aber jeder rennt ernst und geschäftig<br />

se<strong>in</strong>er Wege, denn Zeit ist Geld. Man hat zu thun, man strebt<br />

vorwärts e<strong>in</strong>em gewissen Ziel zu, man grüßt flüchtig e<strong>in</strong>en Bekannten,<br />

wobei man sich ohne Aufenthalt eilig durch die Menge w<strong>in</strong>det. Hier <strong>in</strong><br />

Madrid dagegen glaubt man e<strong>in</strong> ganzes Volk von glückseligen Flaneurs<br />

zu sehen; ke<strong>in</strong>er sche<strong>in</strong>t was rechtes zu thun zu haben, und alles ist,<br />

so glaubt man, auf der Straße, um frische Luft zu schöpfen, zu sehen,<br />

gesehen zu werden, die ausgestellten Waaren zu betrachten, oder mit<br />

guten Freunden e<strong>in</strong>e halbe Stunde zu verplaudern. Wenn der Spanier<br />

auch wirklich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em andern Stadttheil Geschäfte hat, so ist er darum<br />

doch nie eilig, er tritt zu se<strong>in</strong>em Haus h<strong>in</strong>aus, er beschaut sich das<br />

Wetter, wirft gravitätisch se<strong>in</strong>en Mantelkragen über die l<strong>in</strong>ke Schulter,<br />

und da er andere Leute rauchen sieht, so macht er sich ebenfalls e<strong>in</strong>e<br />

Papiercigarre zurecht und setzt sich erst langsam <strong>in</strong> Marsch, nachdem<br />

sie angezündet ist.<br />

Schon öfter erwähnte ich, daß, obgleich der Spanier sehr heißes Blut<br />

hat, er höchst selten bei Wortwechseln aus se<strong>in</strong>er vornehmen Gelassenheit<br />

herauskommt. Wohl sieht man hie und da e<strong>in</strong>e Gruppe, die heftig<br />

gesticulirend zusammenspricht, doch vernimmt man ke<strong>in</strong> unschönes<br />

Wort, wenn sich die Köpfe nach und nach erhitzen, selbst nicht e<strong>in</strong>mal<br />

bei den untersten Volksklassen, man bleibt <strong>in</strong> den Schranken e<strong>in</strong>er höflichen<br />

Sprechweise, und gewöhnlich beschließt irgende<strong>in</strong>e scherzhafte<br />

Wendung den Streit, worauf man sich lachend entfernt. Natürlicherwei-

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