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Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer

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116 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />

heiligen Jungfrau mit ihren Gewändern, ganz aus Perlen und Gold bestehend,<br />

s<strong>in</strong>d freilich noch vorhanden; aber man sieht nicht mehr wie<br />

damals Großwürdenträger der Kirche von allen Graden, von unzähligen<br />

Chorknaben umgeben, ihre Kniee vor dem Allerheiligsten beugen. Das<br />

Rauschen der seidenen und gestickten Gewänder ist verschwunden, die<br />

alte Pracht und Herrlichkeit zu Grabe getragen, und wenn heute die gewaltige<br />

Orgel ihre mächtigen Klänge <strong>in</strong> die gewölbten Hallen h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>schmettert,<br />

so dröhnt das wahrhaft abschreckend <strong>in</strong> dem leeren Raume;<br />

denn statt der tiefen Stimmen der hundert Chorherren und Prälaten,<br />

die früher aus den zahlreichen Chorstühlen antworteten, vernimmt man<br />

jetzt nur noch die schwachen Gesänge von e<strong>in</strong>em Dutzend alter, zitternder<br />

Männer, auf die das ganze Kapitel zusammengeschmolzen ist.<br />

Trotz alledem aber gewährt es wieder e<strong>in</strong> so süßes, ja berauschendes<br />

Gefühl, <strong>in</strong> diesen ehrwürdigen Hallen umherzuwandeln. <strong>E<strong>in</strong></strong>drücke der<br />

mannigfachsten Art stürmen auf die Seele e<strong>in</strong> und erheben das Herz.<br />

Es ist, als läse man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gewaltigen Gedichte von der vergangenen<br />

Zeit; der Weihrauch duftet, Blicke und Gedanken irren an den bunten<br />

gemalten Scheiben h<strong>in</strong> und her, sie können nicht h<strong>in</strong>aus, sie müssen immer<br />

wieder zurückkehren <strong>in</strong> die Kirche, <strong>in</strong> das eigene Herz, und während<br />

die Orgel s<strong>in</strong>gt und jubelt von alter Pracht und Herrlichkeit, sche<strong>in</strong>en<br />

sich die todten Priester- und Fürstenstatuen allmählich zu beleben;<br />

man glaubt sie nach e<strong>in</strong>ander flüstern zu hören: Dieß und das geschah<br />

zu me<strong>in</strong>er Zeit.<br />

Am Hochaltar und Chor, welche nach spanischer Sitte e<strong>in</strong>e Kirche <strong>in</strong><br />

der Kirche bilden, ist nun zusammengedrängt, was die Kunst Kostbares<br />

zu erf<strong>in</strong>den im Stande war. Es blendet e<strong>in</strong>em fast die Augen, wenn<br />

man die Arbeiten betrachtet; Schnitzwerke <strong>in</strong> kostbarem Holz, <strong>in</strong> Marmor<br />

neben getriebener Arbeit <strong>in</strong> edlen Metallen bilden die Wände dieses<br />

Innersten; zahllose Marmorfiguren von großem Kunstwerthe sieht man<br />

bald <strong>in</strong> Gruppen, bald vere<strong>in</strong>zelt. Vom Fundament bis h<strong>in</strong>auf zur Decke<br />

ist nicht e<strong>in</strong> Platz handgroß, der nicht verziert wäre, und zudem umgibt<br />

den Chor e<strong>in</strong> herrliches vergoldetes Gitter mit vier Ellen hohen ziselirten<br />

Stäben und Knäufen. Zu allem dem kommt noch, daß die Pfeiler mit e<strong>in</strong>em<br />

eigenthümlichen Netze von Vergoldungen überzogen s<strong>in</strong>d, dessen<br />

Endfäden sich h<strong>in</strong>aufziehen bis an die verschlungenen Rippen des Ge-<br />

KAPITEL 15. TOLEDO. 117<br />

wölbes, und so, wie durch zahllose goldene Ranken mit den Rosen der<br />

Decke zusammenhängen, man könnte sagen: als kostbare Frucht von ihr<br />

getragen werden.<br />

Der Retabel des Hochaltares, der das Chor als e<strong>in</strong>e gerade Wand abschließe,<br />

ist durch e<strong>in</strong>e Menge fe<strong>in</strong>er Pfeiler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelne Nischen abgetheilt,<br />

deren zierlich durchbrochene Baldach<strong>in</strong>e immer wieder die Untergestelle<br />

zu darüber bef<strong>in</strong>dlichen Reliefen bilden, <strong>in</strong> denen von der<br />

Geburt bis zur Himmelfahrt des Erlösers alle Momente se<strong>in</strong>es heiligen<br />

Lebens mit hoher Kunst dargestellt s<strong>in</strong>d, Alles <strong>in</strong> ganz runden Figuren<br />

meisterhafter Schnitzarbeit ausgeführt und mit den Farben des Lebens<br />

colorirt; dazwischen Vergoldung, wo sich nur e<strong>in</strong> Platz dafür f<strong>in</strong>det,<br />

so daß diese Gruppen aus dem tiefen Schatten ihrer Nischen mit e<strong>in</strong>er<br />

überraschenden Lebendigkeit heraustreten und das Ganze, besonders<br />

wenn e<strong>in</strong> warmes Licht durch e<strong>in</strong>es der hohen bunten Fenster darauf<br />

fällt, e<strong>in</strong>e zauberhafte Wirkung macht. Welche Feder wäre im Stande,<br />

diesen Glanz und Reichthum zu beschreiben, so wie das geheime heilige<br />

Grauen, das die Seele des Beschauers, wie die Herzen der vielen Tausende,<br />

die hier schon gekniet, erfüllt! Rührend ist die K<strong>in</strong>dlichkeit der Auffassung<br />

dieser uralten Sculpturwerke, und selbst <strong>in</strong> späteren Zeiten, wo<br />

die Kunst schon auf Abwege gerathen war, nöthigt uns das Bestreben,<br />

etwas Herrliches, noch nie Dagewesenes mit ganz neuen Mitteln zur Ehre<br />

des Glaubens hervorzubr<strong>in</strong>gen, wie <strong>in</strong> der Kapelle de la Antigua, zur<br />

Verehrung, und wenn z. B. der Altar, genannt el Transparente, der sich<br />

h<strong>in</strong>ter dem Retabel des Hochaltars bef<strong>in</strong>det, auch von höchst ausschweifender<br />

Composition und Ornamentik ist, und wahrhafte Monstruositäten<br />

dabei vorkommen, so ist doch die Überschwänglichkeit der Zusammenstellung<br />

thurmhoch über e<strong>in</strong>ander aufsteigender Chöre von Engeln<br />

<strong>in</strong> Marmorwolken, Sonnenstrahlen, Sternen, Säulen und Gesimsen aus<br />

den kostbarsten Stoffen und von überreicher Färbung, trotzdem daß alle<br />

Gränzl<strong>in</strong>ien verwischt s<strong>in</strong>d, wo Sculptur und Architektur aufhört und<br />

die Malerei beg<strong>in</strong>nt, von frappanter Wirkung, und man läßt dem gewaltigen<br />

Triebe e<strong>in</strong>e Zeit lang Gerechtigkeit widerfahren, das Heiligste mit<br />

allen nur denkbaren Mitteln der Kunst zu ehren.<br />

Weit edler und re<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>d die Formen der meisten Begräbniskapellen,<br />

unter denen diejenige der Familie des Don Alvaro de Luna beson-

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