Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
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68 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />
gels, auf dem der Escorial liegt, h<strong>in</strong>ter diesem dehnt sich dagegen weit<br />
die langweilige und öde Hochebene aus, heut mit trübseligen Wolken<br />
und Nebelmassen bedeckt, die langsam über sie dah<strong>in</strong> ziehen und uns<br />
nur ahnen lassen, wo Madrid liegt.<br />
Interessant dagegen ist von hier oben der Anblick über die gewaltigen,<br />
durch Menschenhände zusammengetragenen Granitmassen zu<br />
unseren Füßen, diese unendlichen Häuserreihen, die unzähligen Höfe,<br />
die langen Fronten, welche zusammen das Kloster bilden. Hierbei kann<br />
man sich auch mit e<strong>in</strong>iger Phantasie <strong>in</strong> die Idee des Erbauers f<strong>in</strong>den,<br />
welche dem Hauptplan zu Grunde liegen soll. Er, welcher sich so gern<br />
an Martern und Märtyrern ergötzte, wollte diesem Hause, welches San<br />
Lorenzo gewidmet war, die Gestalt des Rostes geben, auf welchem der<br />
römische Kaiser Valerian im dritten Jahrhundert den Heiligen bei langsamem<br />
Feuer lebendig braten ließ. Die vier Thürme an den vier Ecken<br />
des Quadrats könnten die Be<strong>in</strong>e des Rostes vorstellen, die Häuserreihen<br />
mit den zusammenhängenden Dächern, welche sich alle <strong>in</strong> rechtem<br />
W<strong>in</strong>kel durchschneiden, die Eisenstangen, und die Höfe dazwischen die<br />
Öffnungen, durch welche die Flammen emporschlugen.<br />
Mag nun die eben angeführte Idee bei dem Bau dieses Klosters zu<br />
Grunde gelegen haben oder nicht, so viel ist gewiß, daß es den Besuchern<br />
kalt und unheimlich entgegenweht aus diesen Ste<strong>in</strong>massen, welchen<br />
verf<strong>in</strong>stere Geist, der sie zu e<strong>in</strong>em Gebäude zusammentragen ließ,<br />
se<strong>in</strong>en kenntlichen Stempel aufdrückte. Schwermüthig wie Kerkerhallen<br />
s<strong>in</strong>d diese Räume, und ich b<strong>in</strong> überzeugt, der frischeste, gesundeste<br />
Lebensmuth müßte hier zu Grunde gehen. Traurig tönte der Wiederhall<br />
unserer Schritte durch diese endlosen, leeren Gänge, und wenn<br />
man beim Betrachten e<strong>in</strong>es Bildes zufällig e<strong>in</strong>mal alle<strong>in</strong> zurückblieb, so<br />
konnte man erschrecken über die Todtenstille, die uns dann plötzlich<br />
umgab. Unheimlich ersche<strong>in</strong>en diese endlosen Corridors, diese gewaltigen<br />
Treppen, geräumig genug für Hunderte von Personen, jetzt nur<br />
bedeckt mit dem Staube, der sich langsam auf den grauen Granitstufen<br />
ansetzt. <strong>E<strong>in</strong></strong>e e<strong>in</strong>igermaßen freundliche Partie f<strong>in</strong>den wir auf der Südseite.<br />
Dort ist e<strong>in</strong>e von Säulen getragene Halle auf e<strong>in</strong>er Terrasse erbaut,<br />
früher e<strong>in</strong> Aufenthalt für alte und kranke Mönche, die sich vielleicht zu<br />
e<strong>in</strong>em Spaziergange <strong>in</strong> den weiten Gärten des Klosters nicht kräftig ge-<br />
KAPITEL 13. ESCORIAL. 69<br />
nug fühlten; doch sieht man hier die Parkanlagen vor sich, dicht unter<br />
der Terrasse Gärten im alt italienischen Geschmack mit geraden geschorenen<br />
Hecken, die Wege mit Ste<strong>in</strong>platten bedeckt und die Beete mit niederem<br />
Buxbaum verziert, der zu allerlei seltsam verschnörkelten und<br />
phantastischen Zeichnungen zusammen gepflanzt ist. Heute sahen diese<br />
Beete eigenthümlich aus, denn auf den Blättern der Buchssträucher<br />
war der Schnee liegen geblieben und so traten all die Zeichnungen weiß<br />
auf dem grauen Grunde der Ste<strong>in</strong>platten ausdrucksvoll hervor. H<strong>in</strong>ter<br />
diesen Gärten beg<strong>in</strong>nt der Park, man sieht hohe Bäume, Wiesen, Teiche<br />
und kle<strong>in</strong>e Bass<strong>in</strong>s mit Spr<strong>in</strong>gbrunnen. Unterdessen war es spät geworden<br />
und der trübe, nebelige Tag brachte so frühzeitig Dämmerung und<br />
Abend, daß wir nicht daran denken konnten, noch länger bei den verschiedenen<br />
Sehenswürdigkeiten im Kloster zu verweilen, wir schritten<br />
noch e<strong>in</strong>mal durch die weite Kirche und sahen uns die Vorbereitungen<br />
an, welche zum Empfang der Leiche der Infant<strong>in</strong> getroffen waren. In der<br />
Mitte des Hauptschiffes hatte man auf dem Boden e<strong>in</strong>e Estrade errichtet,<br />
über welcher e<strong>in</strong>e rothe Sammtdecke lag; darauf stand e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Tisch<br />
oder besser gesagt, e<strong>in</strong> Gerüst, das gerade so aussah, nur war es auf<br />
allen Seiten mit weißem, silbergesticktem Atlas überzogen. Oben darüber<br />
lag e<strong>in</strong>e fe<strong>in</strong>ere Decke, ebenfalls von rothem Sammt mit dem königlichen<br />
Wappen und goldenen Fransen. Die Kirchendiener waren beschäftigt,<br />
riesenhafte Bronzecandelaber mit Wachslichtern zu bestecken<br />
oder Wachsfackeln von merkwürdiger Dicke um die Estrade aufzustellen,<br />
während zahlreiche Chorknaben sich die Langeweile mit Spielen<br />
vertrieben, welche gerade nicht besonders zur Heiligkeit des Ortes paßten.<br />
Es war fünf Uhr Nachmittags, und der Berechnung nach konnte<br />
der Zug mit der Leiche der Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> gegen sieben e<strong>in</strong>treffen. Wäre Escorial<br />
e<strong>in</strong>e volkreiche Stadt, so würden wahrsche<strong>in</strong>lich jetzt schon die<br />
Höfe des Klosters und der große Platz vor demselben mit e<strong>in</strong>er zahllosen<br />
Menschenmenge bedeckt gewesen se<strong>in</strong>; da das Städtchen aber nicht<br />
viele <strong>E<strong>in</strong></strong>wohner aufzuweisen hat, sich auch das Wetter für e<strong>in</strong>en spanischen<br />
Geschmack höchst unangenehm anließ, – der Nebel beeilte sich<br />
nämlich so sehr auf die Erde herabzukommen, daß er sich dabei <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
fe<strong>in</strong>en Sprühregen verwandelte, kalt und durchdr<strong>in</strong>gend, – so lag ber<br />
Platz öde und leer, <strong>in</strong> der Entfernung sah man vielleicht e<strong>in</strong>en Schatten