Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
Ein Winter in Spanien Zweiter Band - Friedrich Wilhelm Hackländer
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214 HACKLÄNDER: EIN WINTER IN SPANIEN<br />
Geschlecht wenig Köpfe sahen, die nicht wenigstens etwas Schönes aufzuweisen<br />
hatten, sei es das prachtvollste Haar der Welt oder große blitzende<br />
Augen, herrliche Zähne oder die sanfte, blasse, gleichförmige und<br />
so anziehende Gesichtsfarbe. Aber auch Köpfe von vollendeter Schönheit<br />
bemerkten wir, Köpfe und Gestalten, vor denen man bewundernd<br />
stehen bleiben mußte. Und wie sie so elegant und graziös s<strong>in</strong>d, diese<br />
Spanier<strong>in</strong>nen! Wie sie alles Schöne, was ihnen Gott verliehen: die entzückende<br />
Taille, die fe<strong>in</strong>en Hände und Füße, Augen, Zähne, Mund zu<br />
gebrauchen und <strong>in</strong>s rechte Licht zu stellen verstehen! – Und wie sie dabei<br />
die künstlichen Waffen handhaben! Mantille, Fächer; o es ist entzückend<br />
und betrübend! –<br />
Zwischen den geputzten Spaziergängern h<strong>in</strong>durch bei den lachenden<br />
und plaudernden Gruppen wurde e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>derleiche von sechs kle<strong>in</strong>en<br />
Mädchen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenen Särgle<strong>in</strong> getragen. Das arme kle<strong>in</strong>e Todtengesichtchen<br />
sah so friedlich aus, und die Mädchen, die das gestorbene<br />
K<strong>in</strong>d trugen, wehrten ihm die Fliegen ab, und bald war die <strong>E<strong>in</strong></strong>e, bald<br />
die Andere beschäftigt, die Blumen zurecht zu legen, womit die Todte<br />
bedeckt war, und die sich beider Bewegung zuweilen verschoben; auch<br />
vermehrten sich diese Blumen, je weiter der Zug sich vom Thore entfernte,<br />
denn manch schönes Weib, manch reizendes Mädchen nahm e<strong>in</strong><br />
grünes Blatt oder e<strong>in</strong> Blüthe aus dem Haar oder vom Busen, und warf<br />
es mit e<strong>in</strong>em Segenspruch auf die K<strong>in</strong>derleiche.<br />
Der große Platz der sich vor der Hauptkirche ausbreitet, zog uns besonders<br />
an, e<strong>in</strong> überreiches Eisengitter trennte ihn von dem Vorhof der<br />
Kathedrale, deren gewaltige Façade aus der späten Renaissance-Zeit mit<br />
zwei mächtigen Thürmen demselben e<strong>in</strong>e große Würde verleiht. Es ist,<br />
als hätte der Erbauer den ganzen überschwänglichen Reichthum der gothischen<br />
Kirchenfronten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Styl und mit den Mitteln der antiken<br />
Bauweise erreichen wollen, e<strong>in</strong>e Unzahl von Pfeilern, Mastern, Balkonen<br />
und über e<strong>in</strong>ander aufgestapelten und durch e<strong>in</strong>ander geschobenen<br />
Säulenordnungen bedeckt diese Façade, die dadurch allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong> sehr<br />
verworrenes Ansehen bekommt, aber durch die Verschwendung des Ornaments<br />
und die mächtigen Verhältnisse doch imponirt. Gegenüber ist<br />
der Platz durch e<strong>in</strong> schönes altes Gebäude begränzt, <strong>in</strong> dessen oberem<br />
Stockwerk sich e<strong>in</strong> zierlicher Laufgang von kle<strong>in</strong>en Arkaden auf sei-<br />
KAPITEL 17. JAEN. 215<br />
ner ganzen Länge h<strong>in</strong>zieht, und das auf der glatten Fläche der unteren<br />
Stockwerke mit e<strong>in</strong>em schönen ste<strong>in</strong>ernen Erker geschmückt ist, dem<br />
Erker des Pilatus, wie er <strong>in</strong> Jaen heißt, wie denn fast an jedem Hause <strong>in</strong><br />
<strong>Spanien</strong> an dem sich e<strong>in</strong> Erker bef<strong>in</strong>det, der Name des Pilatus haftet.<br />
Weit schöner und re<strong>in</strong>er als die Hauptfaçade s<strong>in</strong>d die beiden Nebenseiten<br />
der Kathedrale; namentlich die Südseite, zumal das dortige<br />
Portal ist von überraschend prächtiger und edler Anordnung und wunderschönen<br />
Detailformen. Das Innere aber ist <strong>in</strong> der That prachtvoll und<br />
von majestätischen Verhältnissen. Die Säulenbündel, die die Kuppelgewölbe<br />
tragen und die drei Schiffe von e<strong>in</strong>ander trennen, stehen auf hohen<br />
Piedestalen und die weite Stellung dieser Stützpunkte verleiht dem<br />
mächtigen Raum etwas Luftiges und überaus Kühnes.<br />
Von der früher auf derselben Stelle gestandenen alten Kathedrale ist<br />
auf der Rückseite des Äußeren noch e<strong>in</strong> höchst <strong>in</strong>teressantes Stück des<br />
gothischen Unterbaus übrig geblieben, das e<strong>in</strong>e sehr günstige Me<strong>in</strong>ung<br />
von diesem verschwundenen Bau erweckt.<br />
Ich hatte es über mich genommen, mit Don Ramiro unser heutiges<br />
Mittagsmahl zu besprechen. Auf die gel<strong>in</strong>den Vorwürfe die ich ihm wegen<br />
des gestrigen Soupers machte, stellte er sich anfänglich ganz verwundert,<br />
dann aber gerieth er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en erkünstelten sehr furchtbaren<br />
Zorn h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und versicherte, es sei ihm das bei vornehmen Herrschaften<br />
mit se<strong>in</strong>er Köch<strong>in</strong> schon e<strong>in</strong>igemal passirt, aber dießmal wolle er<br />
mit se<strong>in</strong>em Messer dabei stehen bleiben. Dabei patschte er sich auf den<br />
dicken Bauch, klappte die Zähne zusammen, und wenn man nach se<strong>in</strong>em<br />
entsetzlichen Blick urtheilen wollte, so war die Köch<strong>in</strong> wegen e<strong>in</strong>es<br />
e<strong>in</strong>zigen verdorbenen Gerichtes <strong>in</strong> Gefahr, heute Abend schon e<strong>in</strong>e Leiche<br />
zu se<strong>in</strong>.<br />
Nachdem der Wirth se<strong>in</strong>e Capa malerisch umgeworfen, mir an der<br />
Thür nochmals sehr effektvoll zugegr<strong>in</strong>st, wobei er auf se<strong>in</strong> Messer wies,<br />
g<strong>in</strong>g er die nöthigen Befehle zu geben. Ich setzte mich ans Fenster und<br />
blickte auf die Stadt h<strong>in</strong>aus, zuerst aufwärts nach dem alten Schlosse,<br />
dann vor mich <strong>in</strong> die Tiefe, wo sich e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>stens hübsch angelegter Garten<br />
jetzt <strong>in</strong> der malerischsten Unordnung befand; zerbrochene Ste<strong>in</strong>bänke<br />
waren kaum noch sichtbar vor wucherndem Gras und Brennnesseln,<br />
kopflose Statuen sahen eigenthümlich, fast grauenhaft aus, da sie wie