NATION UND SPRACHE
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Forum Sonderaspekte verbaler Kommunikation Maria Muscan<br />
verfälschte Information als Wahrheit akzeptiert. Anderenfalls muss die Absicht von S, H zu täuschen,<br />
als gescheitert gelten. Die bisher skizzierte Unterteilung euphemistischer Äußerungen<br />
ermöglicht es nun, die Frage, ob Euphemismen vom Hörer „missverstanden“ oder als solche<br />
erkannt und entschlüsselt werden sollen, zunächst für eine Teilgruppe solcher Sprechakte klar<br />
zu beantworten: Euphemismen, die ein Sprecher nicht dazu verwendet, um bestehende Tabus<br />
zu umgehen und/oder die Gefühle des Angesprochenen zu schonen, sondern um diesen über<br />
bestimmte Fakten und Ereignisse oder Entscheidungen im Unklaren zu lassen und aus diesem<br />
Unwissen persönliche Vorteile zu ziehen, können diese verschleiernde Funktion nur dann erfüllen,<br />
wenn sie vom Hörer unerkannt bleibt. Das Missverständnis liegt somit in der Absicht des<br />
Sprechers. Interessant ist nun, welchen Themenbereichen oder auch Gesprächskonstellationen<br />
sich dieser Typus des Euphemismus zuordnen lässt. Denn wenn es hier auch ausschließlich um<br />
die Interessen und Belange des Sprechers geht, so scheinen doch, wie Luchtenberg betont<br />
(1975: 371),<br />
persönliche, d.h. individuell – persönliche Interessen eine geringere Rolle zu spielen als die Interessen<br />
von Politik und Wirtschaft u.ä.<br />
Es lassen sich also Bereiche ausmachen, in denen die mit beschönigendem Reden intendierte<br />
Wirkung besonders häufig in der bewussten Fehlinformation oder gar Irreführung des<br />
Adressaten besteht, während die Achtung von Normen oder die Rücksicht auf Gefühle überhaupt<br />
keine Rolle spielt. Euphemismen erfüllen, wie sich an dieser Stelle resümieren lässt, zwei<br />
sehr unterschiedliche Funktionen in der sprachlichen Kommunikation:<br />
Tabubewältigung: : : Euphemismen vom Typ entschlafen gewähren die Möglichkeit der Verständigung<br />
über Dinge und Sachverhalte, die einem Tabu unterliegen. Wesentliches Ziel solcher<br />
Verhüllungen ist die Schonung des Angesprochenen.<br />
Manipulation: Verschleiernde Euphemismen vom Typ Operation Freedom (für Krieg im Irak)<br />
können zur Wirklichkeitsentstellung und -verfälschung benutzt werden und dienen damit allein<br />
dem Interesse des Sprechers. Sie bauen auf mangelnde Sachkenntnis und geringes Sprachbewusstsein<br />
des Hörers auf, können ihr Ziel – die Meinung des Adressaten in die gewünschte<br />
Richtung zu lenken – nur dann erreichen, wenn sie diesem nicht als Euphemismus bewusst<br />
werden.<br />
Der Euphemismus als partielle Lüge<br />
Da ich der Überzeugung bin, dass der Euphemismus in der politischen Sprache als verschleiernd<br />
und täuschend angesehen werden sollte, stellt sich für mich die Frage, inwieweit er<br />
somit den Tatbestand der Lüge erfüllt bzw. welche Kriterien erfüllt sein müssen, um eine Aussage<br />
als Lüge zu definieren.<br />
Mit Hilfe des Euphemismus wird ein präziserer Ausdruck umgangen. Dass diese Art der<br />
sprachlichen Manipulation gelingen kann, ist darauf zurückzuführen, dass Politiker eine Wahrscheinlichkeitslogik<br />
bzw. eine mehrwertige Logik benützen, wenn sie einen euphemistischen<br />
Satz formulieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob den Sprechern/Kommunikatoren bewusst ist,<br />
dass sie eine Wahrscheinlichkeitslogik anwenden, genauso wie ihnen nicht immer bewusst sein<br />
muss, dass sie einen Euphemismus verwenden. Die Hörer wiederum tendieren dazu, Sätze<br />
innerhalb einer zweiwertigen Logik zu interpretieren. Das heißt, ein Satz ist entweder wahr<br />
oder falsch. Diese Logik wird dadurch begünstigt, dass wahrscheinlich Sätze in der Umgangssprache<br />
meist durch Operatoren wie Ich glaube, dass usw. gekennzeichnet werden. Wird nun<br />
der Hörer mit einem Euphemismus in der politischen Sprache konfrontiert, geht er auch hier<br />
von einer zweiwertigen Logik aus. Er wird den Euphemismus in aller Regel mit dem faktisch<br />
ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003