NATION UND SPRACHE
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524<br />
Agata S. Nalborczyk<br />
deutschen-österreichi-schen Diglossie gibt, 11 erkennt man zugleich einen großen Unterschied<br />
zwischen der arabischen und der deutschen/österreichischen Sprachsituation.<br />
Der wichtigste Unterschied zwischen der klassischen, stabilen und der weiten, unstabilen<br />
Diglossie besteht darin, dass es Mitglieder der Sprachgemeinschaft in der weiten Diglossiesituation<br />
gibt, die die Standardsprache als ihre erste Sprache von den Eltern erlernen (höhere<br />
Sozialschichten) und dass es keine scharfe Grenzen zwischen den funktionalen Domänen der<br />
einzelnen Sprachvarianten gibt. 12 Die Aufwertung und der zunehmende Gebrauch der Umgangsprache<br />
vor allem in den mittleren Gesellschaftsschichten der städtischen Bereiche und ihre Stellung als Bindeglied<br />
zwischen dem Dialekt und der Standardsprache bilden die charakteristischen Merkmale der österreichischen<br />
(und allgemein der süddeutschen) Sprachsituation. 13<br />
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass es nach Meinung einiger Forscher d in<br />
Österreich keine Diglossie gibt, sondern dass die Sprachformen ein Kontinuum bilden, weil sie<br />
nicht voneinander getrennte Systeme, sondern Inventare von Varianten sind, zwischen denen<br />
permanente Interferenzen bestehen. 14<br />
Aber für einen Ausländer, der in Österreich lebt, ist es vor allem wichtig, dass manche Mitglieder der<br />
Sprachgemeinschaft andere Sprachvarianten verwenden als jene, die während des Sprachkurses gelernt<br />
wird. Darüber hinaus gilt es, dass sie nicht alle Varianten verstehen können.<br />
Umfrage<br />
Erkennt man die Unterschiede zwischen der arabischen und der österrichisch-deutschen<br />
Sprachsituation, erscheint es als äußerst interessant, der Frage nachzugehen, wie die<br />
Arabophonen-Immigranten, die aus der klassischen Diglossiesituation stammen, die österreichische,<br />
unstabile Diglossie beurteilen. Ist oder war das Vorhandensein der verschiedenen<br />
österreichischen, deutschen Sprachformen eine Schwierigkeit für sie? Bemerken sie Unterschiede<br />
zwischen der arabischen und der deutschen Diglossie?<br />
Im Jahre 2000 wurde von mir eine mikrosoziolingusitische 15 Umfrage bei einer Gruppe von<br />
Arabophonen, die seit längerer Zeit in Österreich leben, durchgeführt. Als Informanten wurden<br />
11<br />
A. S. Nalborczyk, the similarities and commonalities in the sociolinguistic situation of the Arabic and German language<br />
areas, “TRANS” 14, 2003, http://www.inst.at/trans/14Nr/.<br />
12<br />
Andere Unterschiede: ebd.; M. H. Ibrahim, Linguistic distance and literacy in Arabic, “Journal of Pragmatics”, 7:5,<br />
1983, 509; P. Wiesinger, Standardsprache und Mundarten in Österreich, in: G. Stickel (Hrsg.), Deutsche Gegenwartssprache.<br />
Tendenzen und Perspektiven, Berlin / New York 1990, 228-229.<br />
13<br />
P. Wiesinger, Die deutsche Sprache in Österreich. Eine Einführung, in: P. Wiesinger (Hrsg.), Das österreichische<br />
Deutsch, Wien / Köln / Graz 1988, 9-30.<br />
14<br />
z. B. I. Reiffenstein, Sprachebenen und Sprachwandel in österreichischen Deutsch der Gegenwart, in: H. Kolb, H.<br />
Lauffer (Hrsg), Sprachliche Interferenz, Festschrift für Werner Betz zum 65. Geburtstag, Tübingen 1977, 175-183; und<br />
I. Reiffenstein, Deutsch in Österreich, in: I. Reiffenstein, H. Rupp (Hrsg.) Tendenzen, Formen und Strukturen der<br />
Deutschen Standardsprache nach 1945, Marburg 1983, 15-27.<br />
15<br />
Die mikrosoziolinguistiche Umfrage ermittelt keine statistischen, quantitativen Ergebnisse, sondern qualitative; P.<br />
Atteslander, Befragung, in: U. Ammon, N. Dittmar, K. J. Mattheier (Hrsg.), Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch<br />
zur Wissenschaft von Sprache und Gesellschaft, Berlin / New York 1988 - Handbücher zur Sprach- und<br />
Kommunikationswissenschaft, 3:2, 945-946; N. Dittmar, Quantitative – qualitative Methoden, in: Sozioliguistik:<br />
Handbuch, 3:2, 879. Die Mikrosoziolinguistik untersucht die Verwendung von gegebenen/konkreten Sprachvarianten<br />
(in Abhängigkeit von den soziologischen Variablen wie z.B. Alter, Generation, Geschlecht), Erwerbung und Veränderung<br />
von der Sprachkompetenz, Spracheinstellungen usw.; J. A. Fishman, Domains and relations between microand<br />
macrosociolinguistics, in: J. J. Gumperz, D. Hymes (Hrsg.), Directions in sociolinguistics, the ethnography of<br />
communication, New York / Chicago 1972, 435-453.<br />
ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003