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NATION UND SPRACHE

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WÖRTLICHE ODER FREIE ÜBERSETZUNG?<br />

Zum Streit über das “richtige” Übersetzen<br />

Gundula-Ulrike Fleischer<br />

Bei der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Äußerungen zum Übersetzen von -<br />

hauptsächlich - literarischen Texten, stößt man immer auf ein Problem, daß sich durch die ganze<br />

Geschichte der Übersetzungswissenschaft verfolgen läßt: Es handelt sich um das<br />

Spannungsfeld zwischen wörtlicher und freier Übersetzung. Benedetto Croce behauptete,<br />

zwischen den beiden Polen "Belle Infedeli" und "Brutte Fedeli" finde die Geschichte der Übersetzung<br />

statt. [STACKELBERG 1988, 16]<br />

In seiner Rede auf Wieland (Zu brüderlichem Andenken Wielands) am 18. Februar 1813<br />

stellte Goethe fest:<br />

Es gibt zwei Übersetzungsmaximen: die eine verlangt, daß der Autor einer fremden Nation zu uns<br />

herüber gebracht werde, dergestalt, daß wir ihn als den Unsrigen ansehen können; die andere hingegen<br />

macht uns die Forderung, daß wir uns zu dem Fremden hinüber begeben und uns in seine Zustände,<br />

seine Sprachweise, seine Eigenheiten finden sollen. [nach SDUN 1967, 54]<br />

Und bloß Monate später sieht auch Schleiermacher in seiner am 24. Juni 1813 gehaltenen<br />

Rede Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens zwei mögliche Vorgangsweisen für den<br />

Übersetzer:<br />

Entweder der Übersetzer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen;<br />

oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.<br />

[SCHLEIERMACHER 1838, 218]<br />

Schleiermacher war Anhänger der erstgenannten Methode. Die Ursachen seiner Überzeugung<br />

sind in der Übersetzungsauffassung der deutschen Romantiker zu suchen, die<br />

ausgehend von dem Anspruch des Dichters, ein Schöpfer von Welten in seinem Werk sein zu<br />

dürfen, gegenüber dem Original als “Schöpfungs”-akt eine ganz andere Haltung einnehmen als<br />

die klassizistischen Vertreter der “Belles Infidèles”. Sie sind Anhänger der betont treuen<br />

Übersetzung, die sich in Deutschland so sehr einbürgerte, daß es wohl nicht falsch ist, mit<br />

Jürgen von Stackelberg zu behaupten, daß die Originaltreue “immer schon eine typischdeutsche<br />

Übersetzungsforderung war” [STACKELBERG 1988, 24].<br />

Schleiermacher spricht von zwei Übersetzungsarten, die er als Paraphrase und Nachbildung<br />

bezeichnet. Nachdem er diese beiden Grundpositionen definiert, "der Paraphrast verfährt mit<br />

den Elementen beider Sprachen, als ob sie mathematische Zeichen wären" und: "Die Nachbildung<br />

dagegen beugt sich unter der Irrationalität der Sprachen; sie gesteht, man könne von<br />

einem Kunstwerk der Rede kein Abbild in einer anderen Sprache hervorbringen, das in seinen<br />

einzelnen Teilen den einzelnen Teilen des Urbildes genau entspräche" [SCHLEIERMACHER 1838,<br />

217], weist er als erster auf ihre hermeneutische Natur hin, die sich negativ auf die Übersetzungsleistung<br />

auswirkt, und empfiehlt als Alternative eine Übertragung, die - soweit es die<br />

Zielsprache nur erlaubt - dem Original treu bleibt:<br />

Ein unerläßliches Erfordernis dieser Methode des Übersetzens ist eine Haltung der Sprache, die<br />

nicht nur alltäglich ist, sondern auch ahnden läßt, daß sie nicht ganz frei gewachsen, vielmehr zu<br />

einer fremden Ähnlichkeit hinübergebogen ist. [SCHLEIERMACHER 1838, 227]

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