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NATION UND SPRACHE

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Elisabeth Simon<br />

2. Muttersprache – Fremdsprache – Sprachen in Europa<br />

Es gab keinen Nationalstaat in Europa, in dem sich Landesgrenzen mit denen der Sprache<br />

decken und diese Konflikte haben sich mit der zunehmenden Herausbildung eines gemeinsamen<br />

Europas nicht verringert, besonders dort nicht, wo die „fremdsprachige<br />

Bevölkerungsgrupe“ die Herrschaft ausübte, wie zum Beispiel in Großbritannien. Die Muttersprache<br />

muß also nicht die Landessprache sein, wie zum Beispiel in Frankreich und Spanien. Die<br />

Staatssprache kann aber auch eine Fremdsprache sein, wie jahrelang in Moldawien, in dem<br />

Russisch die Staatssprache war, bis es nach dem Fall der kommunistischen Mauer durch<br />

Rumänisch abgelöst wurde. Die Muttersprache mag wohl ein Instrument nationaler Identifikation<br />

sein, ist aber in diesen Fällen nicht deckungsgleich mit der Sprache des Vaterlandes. 11<br />

Dieses auf Sprache gegründete Nationalgefühl war den europäischen Völkern bis 1500<br />

weitgehend fremd. 12 Mit der Ausbildung des Territorialstaats wurde die Sprache aber zur kulturellen<br />

Identifikation des sich im 18. Jahrhundert ausbildenden Nationalstaates und damit zu<br />

einem politischen Konfliktpotential bis zur Moderne und in unsere Zeit. Man muß sich vor Augen<br />

halten, daß die Waliser trotz gegenteiliger Gesetzgebung und starker sozialer und politischer<br />

Benachteiligung ihre Sprache bewahrten, wobei zu untersuchen wäre, wieweit das durch<br />

die Bindung der Sprache mit dem religiösen Bereich bedingt war. Obwohl in den letzten Jahren<br />

ein Wechsel zum Englischen beobachtet werden kann, ist das Walisische als Merkmal einer<br />

nationalen Identität nicht ersetzbar. So kommt es zu der merkwürdigen Situation, daß das Nationalgefühl<br />

der Waliser sehr stark durch eine Sprache bestimmt wird, die aber nur 18% der<br />

Bevölkerung beherrschen 13 . Ähnlich verhält es sich mit dem Schottischen, das in den letzten<br />

Jahren, bedingt durch die stärkere Hinwendung zur schottischen Geschichte und Kultur, ein<br />

Revival erlebt. Schottland hat (wie wir es auch im Falle von Walisisch gesehen haben) eine dominierende<br />

Sprache: Englisch. Damit ist eine einheimische zweisprachige Basis mit Statusproblemen<br />

entstatanden. Es gibt auch etablierte Sprachen, die von den Einwanderern gesprochen<br />

werden. Bei allen diesen Sprachen treten angesichts der gegenwärtigen Phase der<br />

legalen und politischen Veränderungen Probleme auf, die die Stellung und Präsenz betreffen.<br />

Für Schottland begann am 6. Mai 1999 mit der Loslösung der parlamentarischen Aufgaben vom<br />

Westminster Parlament in London und der Einrichtung eines schottischen Parlaments in<br />

Edinburgh in Holyrood eine neue Ära. 14<br />

Nornisch, Kornisch, Manisch und Gälisch sind andere Sprachen Großbritanniens, die zum<br />

Teil heute wiederbelebt werden, aber keinen Platz mehr als gesprochene Muttersprachen haben.<br />

Der Erhalt dieser Sprachen und ihrer Texte, ihre Übersetzungen und Überlieferungen gehören<br />

zu den großen ungelösten Fragen der „europäischen Kultur“. Diese Probleme erfordern<br />

eine neue und intensive Zusammenarbeit zwischen Forschung und Lehre, Archiv, Verlag und<br />

Bibliothek. Mit einem Aufsehen erregenden Buch hat Karl Markus Gauß auf die „sterbenden<br />

Europäer“ aufmerksam gemacht. Seine Reisen zu den Sorben, Aromunen, Gottscheer Deutschen,<br />

Arbereshen und Sepharden von Sarajevo lehren uns das Staunen über den Reichtum<br />

11<br />

Vergleiche dazu: Gotthard Lerchner: Nation und Sprache im Spannungsfeld zwischen Sprachwissenschaft und Politik<br />

in der Bundesrepublik und der DDR bis 1989, in: Nation und Sprache, a.a.O., S. 297.<br />

12<br />

Manfred Görlach: Nation und Sprache: Das Englische, in: Nation und Sprache, a.a.O., S. 614.<br />

13<br />

Manfred Görlach, a.a.O., S. 617.<br />

14<br />

Wendy Axford: Die englischen und die schottischen Sprachen im Kontext der Sprachen von Großbritannien. In: Literatur<br />

und Sprache. Ausländische Literatur und Spracherwerb durch Bibliotheken. Literature and Language. Foreign<br />

Literature and Language Skills by and with Libraries. Proceedings des internationalen Seminars 1999 /of the international<br />

seminar 1999., deutsch/englisch, S. 53-75.<br />

ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003

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