NATION UND SPRACHE
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Klaus Fischer<br />
g) Der Umfang des Valenzträgers, die verschiedenen Realisierungsformen von Valenz<br />
(Mikro- vs. Makrovalenz; interne vs. externe Valenz), die semantische und syntaktische<br />
Ausgestaltung von Textprädikaten durch Interaktion mit der jeweiligen Verbform (z.B.<br />
Konverse) sowie dem Ko- und Kontext und daraus resultierende Valenzreduktion/erhöhung<br />
sollten beschrieben werden.<br />
3. Valenzdefinition<br />
Beginnen wir mit der Definition: Formale Anforderungen an E sind nicht universal, da die<br />
Beziehung zwischen E und Verb rein semantisch sein kann, die Identifikation und Unterscheidung<br />
der E also vom Hörer erschlossen wird. Obwohl Deutsch eine Kasussprache ist,<br />
können E wegen mangelnder morphologischer Nominativ-Akkusativ-Differenzierung relativ<br />
häufig nur kontextuell differenziert werden:<br />
3 Mehr als 50 Frauen sollen zwei Westafrikaner nach NRW eingeschleust und zur<br />
Prostitution in Bordellen in Oberhausen, Düsseldorf und Köln gezwungen haben. (Rheinische<br />
Post, nach Spiegel 13/2001, S. 246, Rubrik Hohlspiegel)<br />
Wer hat wen eingeschleust und zur Prostitution gezwungen? Unser Weltwissen gibt uns die<br />
Antwort. Zumindest ein Leser hat die fokussierte Akk-E aber zunächst als Subjekt interpretiert,<br />
sonst wäre der Satz nicht aufgefallen und an den Spiegel eingesandt worden.<br />
Unter einem universalen Blickwinkel kann es nur eine semantische Definition von Valenz<br />
geben: Valenz ist Sachverhaltskonstitution. Sachverhaltskonstitution ist nötig, um etwas zu<br />
sagen: das Prinzip, mit dem wir über Welt sprechen, ist, dass wir Entitäten zueinander in Beziehung<br />
setzen. (Ob unser kognitives Erfassen von Welt auch so funktioniert, wissen wir nicht.)<br />
In 3 wird der Kernsachverhalt des Jemanden-an-einen-Ort-Einschleusens etabliert. Drei Entitäten<br />
werden miteinander verbunden und mit semantischen Rollen versehen: die Einschleuser,<br />
die Eingeschleusten und das geographische Ziel des Einschleusens. Dies leistet das im Kontext<br />
interpretierte Verb. Einen Sachverhalt des Einschleusens gibt es nicht an sich, nur Menschen, die<br />
sich relativ zum Raum bewegen. Der Sachverhalt ist ein sprachlich gefasster.<br />
Die Relation Sachverhaltskonstitution ist also valenzbegründend, ist die synthetische<br />
Valenzrelation (vgl. Ágel 2003). Dies ist im Prinzip seit Tesnière bekannt und wird auch in der<br />
Grammatik der deutschen Sprache (GdS) so ausgeführt: Stichworte Sachverhaltsentwurf,<br />
Minimalproposition (Zifonun et al. 1997: 601, 1028) – um dann im zweiten, etwas unverbunden<br />
neben dem ersten stehenden GdS-Valenzmodell als eine gleichberechtigte Relation neben<br />
anderen wieder zu erscheinen (ebd.: 1030-43). Der Grund dafür ist m.E., dass das volle Erklärungspotenzial<br />
der Relation Sachverhaltskonstitution nicht erkannt wurde:<br />
a) Sie erklärt den hartnäckigen, theorieübergreifenden Valenzkonsens, der so unterschiedliche<br />
E anerkennt wie das Subjekt, adverbiale Bestimmungen, prädikative Phrasen.<br />
b) Sie erklärt auch die letztlich unfruchtbare Diskussion um die Abgrenzung von E und A:<br />
Kernsachverhalte können enger oder weiter gefasst werden. Es ist nicht entscheidbar,<br />
ob für Satz 1 ein Kernsachverhalt des Stehens, des Auf-etwas-Stehens, des Auf-eine-<br />
Art-Stehens oder eines Auf-eine-Art-auf-etwas-Stehens angenommen werden soll.<br />
Sachverhaltskonstitution ist partiell indeterminiert (was nicht dasselbe ist wie vage:<br />
kein fließender Übergang wird angenommen). Ich schlage vor, eine lexikalische Grundvalenz<br />
durch Häufigkeitsuntersuchungen zu etablieren. Sie ist etwas weiter gefasst als<br />
bei Welke (1988): essen z.B. wäre zweiwertig, nicht einwertig. Diese kann dann in der<br />
Textrealisierung durch Valenzreduktion oder -erhöhung verändert werden. Valenzerhöhungen<br />
können weit in den Bereich der klassischen Angaben hineinragen, da es wie<br />
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ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003