07.10.2013 Aufrufe

NATION UND SPRACHE

NATION UND SPRACHE

NATION UND SPRACHE

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Verbale Strategien in mündlichen Prüfungen<br />

Was die Mittel betrifft, wird das Gesagte transkribiert und auf die Formeigenschaften und<br />

den propositionalen Gehalt eingegangen. Im Falle des Prüfungsdiskurses tritt beispielsweise das<br />

Frage-Antwort-Muster. Die mündliche Prüfung dauert an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät<br />

im Hauptfach 60 Minuten und im Nebenfach eine halbe Stunde. Als Vorbereitung gilt der<br />

Vorschlag des Kandidaten, was Themen und Bibliographie betrifft, die von einem Ausschuß<br />

zugelassen werden müssen. Für die Prüfungsdiskurse hat der Prüfling Texte, die Bibliographie<br />

vorbereitet aus deren Gesamtenge er das Wesentliche herausnimmt, um es mündlich zu präsentieren.<br />

Dadurch findet ein Filtern, eine Reduktion und eine Textverflechtung statt, die zu<br />

dem Entstehen einer Prüfungsdiskurses beiträgt.<br />

Das Handlungsmuster Frage-Antwort im Prüfungsdiskurs<br />

Die Wissensdarstellung des Kandidaten erfolgt durch das Handlungsmuster Frage-Antwort.<br />

Der Prüfer formuliert Fragen, damit der Kandidat ein bestimmtes Thema behandeln soll. Wenn<br />

die Darstellung nicht die erwünschte ist, treten detaillierte Fragen oder Stützfragen auf, durch<br />

die der Prüfer den Kandidaten anleitet oder ihm seine Hilfe bietet. Es können aber Fragen beim<br />

Kandidaten auftreten, ihre Anwesenheit und Form soll untersucht werden. Das Handlungsmuster<br />

Frage-Antwort wird von dem Prüfer eingesetzt um Regie-bzw. Examensfragen zu<br />

formulieren. Die Fragen gelten als Regiefragen, da der Prüfer selbst nicht über eine Wissenslücke,<br />

wie im Normalfall - dem Zweckbereich-Wissenstransfer - verfügt, die beseitigt werden<br />

soll.<br />

Wie aus dem Frage-Antwort-Handlungsmuster erfolgt, ist der Ausgangspunkt, das der<br />

Nichtwissende eine Wissenslücke bei sich entdeckt. Diese muß er formulieren und an einen<br />

geeigneten potenziellen Antwortenden richten. Der Hörer führt einen mentalen Suchprozeß<br />

aus, indem er sein Wissen auf geeignete Elemente hin befragt. Findet er solche, äußert er sic als<br />

Antwort auf die Frage, wenn nicht, kann er schweigen oder ein Nichtwissen mitteilen. Der<br />

Fragende überprüft, ob die Antwort sein Wissensdefizit zufriedenstellend behebt und kann dies<br />

im positiven Fall einer Rückbestätigung bekannt geben, im negativen Fall bleibt sein Wissensdefizit<br />

bestehen und er kann zu einer Wiederholung der Frage an einen Mitaktanten gehen oder<br />

reformulieren. Im Fall der Prüfungsdiskurse umreißt der Prüfer nicht seine Wissenslücke,<br />

sondern das vom Kandidaten zu behandelnde Thema. Seine Frage ist eine Examens und Regiefrage,<br />

bei der kein Wissenstransfer, sondern eine Wissensüberprüfung stattfindet, da er selbst<br />

über das Wissen, das er überprüfen und bewerten soll, bereits verfügt. Bei der Regiefrage besteht<br />

an der Oberfläche kein Unterschied zur W-Frage / Ergänzungsfrage oder zu den ob-<br />

Fragesätzen. Auf diese wäre die „ja“- Antwort pragmatisch unangemessen, da die Frage auf<br />

Momente des Handlungsprozesses zielt und zur Realisierung der Regiefrage (Ehlich/Rehbein<br />

1986: 66) beiträgt. Auf die Regiefrage oder die Aufforderung des Prüfers reagiert der Prüfling<br />

mit einer Antwort, die durch eine Assertion oder Assertionsverkettung realisiert wird, die zur<br />

Entstehung des Diskurses beiträgt.<br />

Handlungstheoretisch differenzieren Ehlich / Rehbein (1983: 12) in ihrem Grundmodell drei<br />

Typen von Wirklichkeit: die außersprachliche (P), die mentale (π) (d.h. die Widerspiegelung von<br />

P im Kopf vom Sprecher (πS) und im Kopf vom Hörer (πH) und die sprachliche Wirklichkeit. Ob<br />

die mentale Wirklichkeit bei Prüfer und Kandidat übereinstimmt, gilt innerhalb der mündlichen<br />

Prüfung festzustellen.<br />

ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003<br />

539

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!