NATION UND SPRACHE
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“Der Sprecher und das Wort sind zwei Personen”. Zum Gebrauch des politischen Euphemismus<br />
wahren Satz verwechseln. Wenn er die Manipulation aber bemerkt, wird er dem Politiker<br />
generell misstrauen und dessen Euphemismus für faktisch falsche Sätze, also für Lügen halten.<br />
Hierzu folgendes Beispiel aus der deutschen politischen Szene. In einem Interview mit dem<br />
grünen Außenminister Joschka Fischer (Bündnis ´90/Die Grünen), zu den Themen Identitätskrise<br />
der grünen Partei und Reformmüdigkeit der Regierung, stellte der Reporter Fragen bzw. machte<br />
Behauptungen, die vom Politiker mit gegensätzlichen Aussagen beantwortet wurden (Der Spiegel<br />
34, 20.08.2001, S. 24-27):<br />
Spiegel: Spiegel: Genau das bleibt Ihr zentrales Problem in der Regierung – dass die Grünen als Partei Forderungen<br />
vertreten, die sie als Regierung nicht erfüllen können.<br />
Der Reporter vertritt die Meinung, dass die Grünen kein genaues Profil haben und sie folglich<br />
nicht regierungsfähig sind, dass sie immer wieder Kompromisse schließen müssen, um in<br />
der Regierungskoalition zu bleiben. Diese Meinung kann als faktische Wahrheit für mein Beispiel<br />
gelten. Darauf aber antwortet der Außenminister Joschka Fischer Folgendes:<br />
Fischer: Fischer: Aber nein, das Gegenteil ist der Fall. Vielleicht haben wir einen Fehler nicht in der Sache,<br />
sondern im Vorgehen gemacht. Wir stehen für strukturelle Reformen, und das braucht Zeit und<br />
Durchhaltevermögen, wir haben aber zu oft auf das `Sofort`gesetzt.<br />
Auf die Frage Welche Aussage ist richtig und welche ist falsch gibt es nur eine Antwort:<br />
BEIDE sind korrekt, und trotzdem gegensätzlich, weil jeder der beiden Sprecher etwas anderes<br />
anspricht, und Fischers Antwort eigentlich keine Re-Aktion auf die Reporter-Frage ist.<br />
Euphemismen in der Sozialpolitik<br />
Damit die Verständigung im Bereich der Sozialpolitik zwischen Kommunikator und dem<br />
Bürger via Massenmedien funktioniert, müssen die Gesprächspartner sich natürlich im Klaren<br />
darüber sein, was mit der euphemistischen Rede gemeint ist. Das ist normalerweise auch der<br />
Fall. Doch passiert es sehr oft, insbesondere im politischen Sprachgebrauch, dass die Sprecher<br />
versuchen, Sachverhalte zu verschleiern, insbesondere gegenüber Außenstehenden, die nicht<br />
über einschlägiges Wissen verfügen. Als Beispiel dazu möchte ich das am 1. August 2001 in<br />
Deutschland in Kraft getretene Lebenspartnerschaftsgesetz bzw. die dazu erschienenen Zeitungsartikel<br />
in der Süddeutschen Zeitung, der FAZ und dem Wochenmagazin Der Spiegel zitieren.<br />
Dass die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft oder Homo-Ehe auch nach dem neuen<br />
Gesetz mit der heterosexuellen Ehe nicht gleichgesetzt werden konnte, blieb vielen Bundesbürgern<br />
in den ersten Monaten nach Verabschieden des Gesetzes verborgen. Ob die Regierung<br />
aus politischer Überlegung die Wahrheit zu verschleiern versuchte oder lediglich selbst nocht<br />
nicht genau wusste, welches Ausmaß dieses Gesetz haben würde und könnte, sei dahingestellt.<br />
Dass es aber eine verschleiernde Ausdrucksweise gegeben hat bezüglich dieses Gesetzes, kann<br />
zumindest für die Monate August bis Oktober 2001 behauptet werden. Diese ist offensichtlich<br />
aus der Konfusion angesichts der inhaltlichen und sprachlichen Verwirrung, die nach den ersten<br />
verschleiernden Aussagen entstanden ist. Im Weiteren einen Auszug aus der Süddeutschen<br />
Zeitung Nr. 164, Do., 19. Juli 2001, Seite 7:<br />
Wie bei einer Eheschließung erscheinen die Partner (beispielsweise) vor dem Standesbeamten und<br />
erklären, miteinander eine Partnerschaft auf Lebenszeit eingehen zu wollen.( …) Im Normalfall werden<br />
die beiden Partner in der Ausgleichsgemeinschaft leben, die der ehelichen Zugewinngemeinschaft<br />
weitgehend entspricht.<br />
Auf den ersten Blick suggeriert dieser Passus, die standesamtliche Eintragung der Partnerschaft<br />
auf Lebenszeit sei der herkömmlichen Eheschließung mit all ihren Rechten und Pflichten<br />
gleichgestellt. Das ist aber nicht der Fall. Informiert sich der Leser anhand weiterer Zeitungs-<br />
ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003<br />
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