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NATION UND SPRACHE

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Elisabeth Simon<br />

nen, daß die Länder außerhalb Europas bei dieser Diskussion nur mittelbar beteiligt sind. Dies<br />

ist ein Irrtum, denn sowohl innerhalb Europas durch die laufende Einwanderung, die die europäischen<br />

Staaten zu multikulturellen umwandeln wird, als auch außerhalb Europas durch die<br />

zunehmende Internationalisierung und Gobalisierung werden Anwendung und Beherrschung<br />

von Fremdsprachen auch das Gesicht von Europa bestimmen.<br />

3. Sprachunterricht – Sprache als Kommunikationsmittel – Ausländische Literatur.<br />

Konzepte des Lebenslangen Lernens und die Rolle von Bibliotheken<br />

Das Erlernen der Muttersprache geht einher mit dem Erwerb der Fähigkeit, sprachliche Äußerungen<br />

zu verstehen und situationsgerecht anzuwenden […] dem Erwerb eines Systems von Benennungen<br />

und Begriffen, die die Umwelt erfassen und gliedern […] Dieses steht mit der kognitiven Entwicklung<br />

in enger Wechselbeziehung. 19<br />

Hier kann auch nicht weiter auf die schichtenspezifischen Unterschiede des Spracherwerbs<br />

eingegangen werden, die der generellen Forderung nach Dreisprachigkeit des zukünftigen europäischen<br />

Bürgers mindestens ein Fragezeichen entgegen setzen. Der Spracherwerb und die<br />

Sprachbarrieren determinieren heute nicht nur den Umgang mit der sogenannten information<br />

literacy 20 , sondern sie bestimmen auch weitgehend den Erfolg oder Mißerfolg beim Erlernen<br />

von Fremdsprachen.<br />

Im Humanismus waren die beiden Sprachen funktional verschieden: Der Laie sprach<br />

Deutsch, der Gelehrte Lateinisch und in den meisten Fällen nicht nur dies, sondern auch Griechisch<br />

und Hebräisch. Dieser internationale Sprachenkanon garantierte auch die internationale<br />

Verständigung mit dem europäischen Wissenstausch und Briefwechsel, der uns heute noch<br />

erstaunt. Diese zwei Sprachkulturen, z.B. der lateinischen und der deutschen Sprache, bilden<br />

auch schichtenspezifische Sprachenrollen, soziale Strukturen und mit dem ständischen Gefälle<br />

verbundene immanente Sprach- und Bildungsbarrieren. 21<br />

Wie stark der Spracherweb in der Kindheit und damit auch das Erlernen von Fremdsprachen<br />

von dem sozialen Gefüge der Umwelt determiniert ist, möge jene hübsche Geschichte von dem<br />

Pharao unterstreichen, der einem Hirten zwei Kinder zur Aufzucht gab. Diese sollten in einem<br />

Raum mit nur Ziegen zu ihrer Nahrung aufwachsen. Keiner durfte mit ihnen sprechen, weil der<br />

Pharao wissen wollte, was für ein Wort die Kinder wohl zuerst aussprechen würden, wenn sie<br />

das Alter des Lallens hinter sich hätten. Nachdem man das ins Werk gesetzt hatte, öffnete man<br />

die Tür, wobei die Kinder ihnen das Wort bekos (ähnliche dem Meckern der Ziegen) entgegen<br />

riefen und die Hände entgegen streckten. Nachdem der Pharao erforscht hatte, daß dieses Wort<br />

tionalbibliothek in ihrer Begrüßung vom Russischen ins Kasachische. Glücklicherweise war die ausgezeichnete Übersetzerin<br />

diesem Sprachwechsel gewachsen. So verständlich der Einsatz für die Muttersprache und für die sich neu<br />

konstituierende Nation ist, so bedauerlich ist es, wenn dieser zu Status- und Machtdemonstrationen mißbraucht wird.<br />

19 Theodor Lewandowski: Linguistisches Wörterbuch, Bd. 3, Heidelberg 1976, S. 699f: Spracherwerb.<br />

20 Myoung Wilson: In Daten ertrunken und durstig nach Wissen. Wie „information literacy“ gelehrt wird. Die Vergangenheit,<br />

Gegenwart und Zukunft, in: Informationsversorgung Politik und Strategie/Information Provision, Politics and<br />

Strategy. Proceedings des internationalen Seminars /of the international seminar 1998 der Bibliothekarischen Auslandsstelle<br />

am Deutschen Bibliotheksinstitut 1998, S. 414-445.<br />

21 Jochim Knape: Humanismus, Reformation, deutsche Sprache und Nation, in: Nation und Sprache, a.a.O., S. 107.<br />

ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003

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