NATION UND SPRACHE
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Die Übersetzung als Prozess des Kulturtransfers.. Zu Victor Klemperers LTI<br />
auch in den Reden der rumänischen Rechtsextremisten um 1935 wiederentdeckt werden. Viele<br />
Wörter wurden aber nicht einfach übersetzt, sondern es wurden neue mit eigenen sprachlichen<br />
Mitteln geschaffen, denn diese Sprache, obwohl sie auch einer nationalistischen Ideologie<br />
diente, war eine eigene spezifische Kulturerscheinung. LTI wurde zu einer Tabu-Sprache zu<br />
DDR-Zeiten, man hat nicht nur im Bezug auf Literatur, sondern auch im Bezug auf die Sprache<br />
von einem Nullpunkt geredet. Dieses Phänomen ist auch in Rumänien nach 50 Jahren kommunistischer<br />
Herrschaft zu beobachten. Wörter, die im damaligen sprachlichen Alltag unvermeidlich<br />
waren, werden heute kaum noch ausgesprochen, wie z. B. tovar`[ oder gospodar. 4 Es entsteht<br />
also beim Versuch der Übersetzung der Sprache des Dritten Reiches ein interkultureller<br />
Dialog.<br />
Die Übersetzung als Prozess des Kulturtransfers und als Form der interkulturellen<br />
Kommunikation.<br />
Über die Übersetzbarkeit oder Unübersetzbarkeit eines Textes waren sich die Übersetzungswissenschaftler<br />
nie einig. Nach Coserius Ansicht, müßte erstens einen Unterschied<br />
zwischen Übersetzung als rein technischer Tätigkeit, auch Übertragung genannt und dem Übersetzen<br />
als Prozess, gemacht werden 5 . Die Übersetzung ist die Technik der Feststellung von<br />
„Entsprechungen“, d. h. von Äquivalenzen in der Bezeichnung; das „Übersetzen“ hingegen ist<br />
eine komplexe Tätigkeit, die bei weitem nicht nur aus Übertragung besteht. Coseriu führt also<br />
diese Termini ein: Übersetzung und Übersetzen, wobei Übersetzen eine gelungene Übersetzung<br />
darstellt, die den kulturellen Aspekt dieses Vorgangs beachtet. Das, was grundsätzlich nicht<br />
„übersetzt“ werden kann, wird beim Übersetzen auch nicht übertragen, im Sinne des Begriffes.<br />
Der Autor behauptet, die Übersetzung stöße leicht an ihre Grenzen und darum müßte man vom<br />
Übersetzen reden, eine Tätigkeit, die keine rationalen, sondern nur empirischen Grenzen erfährt.<br />
Die Notwendigkeit einer Differenzierung zwischen Übersetzung und Übersetzen wurde schon<br />
von den ältesten Übersetzungswissenschaftlern angesehen, behauptet E. Coseriu. Im lutherischen<br />
„Sendbrief vom Dolmetschen“ zum Beispiel, wird das Problem vom Gesichtspunkt eines<br />
Übersetzungsideals dargestellt; implizite hat Luther aber doch die Differenzierung im Sinne,<br />
und zwar je nach den Adressanten, denen man „auf das Maul sehen“ müsse.<br />
Als Textlinguist sieht Coseriu die Übersetzungstheorie als Teil der Textlinguistik, so behauptet<br />
er, das Übersetzen habe nichts mit einzelnen sprachlichen Einheiten zu tun. Übersetzen<br />
macht nur im textuellen Kontext einen Sinn. Der Autor erkennt vier falsche Fragestellungen in<br />
der Übersetzungstheorie:<br />
1. Die Problematik der Übersetzung und des Übersetzens wird wie eine Problematik, welche<br />
die Einzelsprachen betrifft, eingegangen.<br />
2. Es wird von den Übersetzungen wenigstens implizite erwartet, dass sie alles in den Originaltexten<br />
Gemeinte und durch diese Texte als gemeint Verstandene mit den Mitteln<br />
der Zielsprache wiedergeben; sie können dies aber nicht, und deshalb seien sie schon<br />
ihrem Wesen nach „unvollkommen“, wenn auch praktisch notwendig.<br />
4 Hier verwechselt die Verfasserin die kommunikativ-situative, epochenbedingte Konnotation eines Wortes mit einem<br />
Wort des rumänischen Grundwortschatzes, welches sonst auch heute noch in anderen semantischen Feldern voll im<br />
Gebrauch ist: tovar`[ de drum, tovar`[ de suferin]` etc. Von gospodar kann die Behauptung der Verfasserin aus ähnlichem<br />
Grunde nicht so gelten. (Anm. der Redaktion der ZGR.)<br />
5 Coseriu, Eugen: Falsche und richtige Fragestellungen in der Übersetzungstheorie, in Wills, Wolfram (Hrsg). : Überset-<br />
zungswissenschaft, Darmstadt 1981, S. 27 ff.<br />
ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003<br />
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