NATION UND SPRACHE
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Die Übersetzung als Prozess des Kulturtransfers.. Zu Victor Klemperers LTI<br />
Bedeutung unterscheiden. Z. B. auf Deutsch sagt man „keine Ursache!“ aber im Französischen<br />
sagt man nicht „aucune cause!“ , sondern die Entsprechung dem Sinn und der Bezeichnung<br />
nach heißt: „Pas de quoi!“; oder „Schade!“ heißt auf Portugiesisch „che pena!“ also ungefähr<br />
„was für ein Schmerz!“ 10 .<br />
Diese Verschiedenheit der einzelsprachlichen Bedeutungen, d. h. die verschiedene Gestaltung<br />
der Wirklichkeit durch die Einzelsprachen, ist nicht, wie man oft meint, das Problem<br />
par excellence der Übersetzung, sondern viel mehr ihre Voraussetzung, die Bedingung ihrer<br />
Existenz: gerade deshalb gibt es Übersetzen und nicht nur bloße Ersetzung auf der Ausdrucksebene.<br />
Also heißt Übersetzen soviel wie: gleiche Bezeichnung mittels grundsätzlich verschiedener<br />
Bedeutung. Es gibt aber auch spezielle Situationen, wo bestimmte Sprachen eine bestimmte<br />
Bezeichnung einer Bedeutung nicht kennen, da spricht man von „Lehnübersetzungen“: schaffen<br />
von neuen Ausdrücken und Bedeutungen mit einheimischen Mitteln. Hier führt Coseriu das<br />
berühmte Beispiel des Wortes „Schnee“ ein. Bestimmte Sprachgemeinschaften kennen nämlich<br />
dieses Phänomen nicht.<br />
Die Sprache kann aber nicht nur als Zeichensystem, sondern auch als „Realität“ verwendet<br />
werden. In der Übersetzung können auch Konflikte zwischen Bezeichnung und Sinn entstehen.<br />
Z. B. die Farben weiß und schwarz rufen verschiedene Gefühle hervor, bei den jeweiligen Gemeinschaften,<br />
einmal Frieden und einmal Tod, und umgekehrt. Oder der Mond und die Sonne<br />
werden als eine männliche bzw. als eine weibliche Gestalt, im deutschsprachigen Raum gesehen.<br />
In den romanischen Sprachen dagegen, ist der Mond vom Genus her weiblich, und die<br />
Sonne männlich, also genau umgekehrt. In solchen Fällen kann sich der Übersetzer entweder<br />
für den Sinn, oder für die Bezeichnung entscheiden. Sicherlich teilt das Gesagte einer Sprache<br />
auch bestimmte Gefühle mit, oder ruft sie hervor, Gefühle die nur in der jeweiligen Sprachgemeinschaft<br />
nachzuvollziehen sind. Diese kann man auch nicht übersetzen, höchstens angeben,<br />
als Bemerkung. Da stößt das Übersetzen an seine Grenzen. Die Übersetzung als rein<br />
sprachliche Technik betrifft nur das Sprachliche, also das Gesagte und nicht das Gemeinte. „Die<br />
eigentliche rationale Grenze der Übersetzung ist also nicht durch die Verschiedenheit der<br />
Sprachen, durch die Sprachen als Bezeichnungssysteme gegeben, sondern durch die in den<br />
Texten verwendete Realität (einschließlich der Sprache als Realität).“ 11<br />
Die ideologische Sprache des Nationalsozialismus. Victor Klemperers LTI. Notizbuch eines<br />
Philologen – ein Übersetzungsversuch<br />
1947 veröffentlicht der Dresdener Romanist Victor Klemperer im Aufbau-Verlag, Berlin sein<br />
„schwierigstes“ Buch, wie er es selbst bezeichnete: LTI. Notizbuch eines Philologen. Mehrere<br />
Auflagen des Buches sind danach erschienen in Leipzig 1947, 1957 und 1993. Es ist auch unter<br />
dem Titel: Die unbewältigte Sprache. Aus dem Notizbuch eines Philologen. LTI - 1966 bekannt.<br />
Das Buch soll eine kritische Analyse der Sprache des Dritten Reiches darstellen. Nach der<br />
Machtübernamme der Nationalsozialisten im Jahre 1933 und bis Ende des II. Weltkrieges<br />
macht sich Klemperer Notizen, denn er möchte „Zeugnis ablegen bis zum letzten“, eine Aussage,<br />
die später sogar als Titel für seine Tagebücher vom Verleger übernommen wurde. Wie<br />
schon der Untertitel des Buches verrät, erhebt V. Klemperer keine hohen sprachwissenschaftlichen<br />
Ansprüche für sich, es soll nicht eine sprachwissenschaftliche Analyse sein, sondern nur<br />
10 Ebd.<br />
11 Ebd., S. 42.<br />
ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003<br />
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