NATION UND SPRACHE
NATION UND SPRACHE
NATION UND SPRACHE
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Petru Forna / Sanda Misiriantu<br />
Eins-zu-Eins-Entsprechung zwischen AS und ZS fehlt und eine wörtliche Übersetzung einen<br />
eindeutigen Verstoß gegen die syntaktischen, lexikalischen, idiomatischen und soziokulturellen<br />
Regelapparate der ZS zur Folge hätte.<br />
Während wörtliche Übersetzungsprozeduren dem Übersetzer leichter von der Hand gehen,<br />
weil er AS Textsegmente auf die ZS direkt abbilden kann und im Rahmen der ZS Textkonzeptionalisierung<br />
nur einen minimalen Transferaufwand investieren muß, erfordern nichtwörtliche<br />
Übersetzungsprozeduren oft ein verlhältnismäßig hohes Maß an kreativer Energie und intertextueller<br />
Sprachhandlungskompetenz.<br />
Ein kreativitätsrelevantes Problem ist eben der Umstand, daß man bei der Übersetzung ein<br />
und desselben Textes durch verschiedene Übersetzer mit einem u.U. breiten Spektrum formal<br />
verschiedener, qualitativ aber (ungefähr) gleichrangiger ZS-Versionen rechnen muß. Aber der<br />
Bezugspunkt für interlinguale Kommunikation ist nicht eine wie immer motivierte authentische<br />
Mitteilungsabsicht, sondern ein as vorformulierter Text, der für den Übersetzer Handlungsanweisungscharakter<br />
besitzt.<br />
Der Ausgangstext steuert das Verhalten des Überstzers. Gäbe es keinen Originaltext, gäbe es<br />
keine Übersetzung. Die Aufgabe des Übersetzers beasteht darin, unter übersetzungssituationsbezogener<br />
Aktivierung seiner kreativer Möglichkeiten auf dem Weg über einen u.U. höchst<br />
komplizierten intertextuellen Balanceakt ein funktionelles Gleichgewicht zwischen Ausgangs-<br />
und Zieltext herzustellen.<br />
Der Übersetzer gewährleistet dadurch die Voraussetzungen für ein Informations-kontinuum<br />
zwischen zwei ihm oft unbekannten Kommunikationspartnern. Dabei verläßt sich der Überstzer<br />
in seinem Handeln vorwiegend oder ausschließlich auf seinem übersetzerischen Erfahrungsbereich;<br />
er lernt im Laufe der Zeit abzuschätzen, wieviel Kreativität er in die sachgerechte<br />
Lösung eines Übersetzungsauftrags investieren muß und in welchem Umfang er interlinguale<br />
Zuordungsstereotypen aktivieren kann (WILSS 1988).<br />
Doch sind im Gegensatz zu Übersetzungsmethoden die Übersetzungstechniken durch Routinertheit<br />
und Wiederholbarkeit geprägte übersetzerische Verhaltensweisen, in denen abstrakte<br />
Gedächnisinhalte in konkreten Handlungszusammenhängen automatisch aktiviert werden.<br />
Übersetzerisches Routinenverhalten ist das Gegenteil einen übersetzerischen Konfliktlösungsproblems;<br />
es beruht auf dem Prinzip, daß unter gleichen oder zumindest vergleichbaren übersetzerischen<br />
Bedingungen bei ökonomischem übersetzerischen Mittelansatz situationsunabhängig<br />
ein gleiches oder zumindest vergeichbares Ergebnis erzielt werden kann. Übersetzungstechniken<br />
setzen eine „allmähliche Sedimentierung eingeübter Praxisvollzüge“ ((BUBNER 1984)<br />
voraus, die auf Selbstregulierungsmechanismen beruhen, in denen „ursprünglich bewußtseinspflichtige<br />
Bestandteile der psychischen Struktur aus dem Bewußtsein zurücktreten (HACKER<br />
1978). Übersetzungstechniken repräsentieren eine spezifische Form standarsdisierter Informationsverarbeitung,<br />
Sie ermöglichen eine invariante, auf jeden fall nur begrenzt variable Zuordnung<br />
von Input und Output und verlangen eine Relativierung der Festsellung, daß „in einem<br />
Wissenschafsbereich (wie dem der Übersetzungswissenschaft) wissenschaftliche Kriterien wie<br />
Objektivität und Wiederholbarkeit nicht sinnvoll angewandt werden können (MUDERSBACH<br />
1987). Übersetzungstechniken sind das Ergebnis von Lernprozessen (WILSS 1988). Sie beruhen<br />
auf Erinnerungsfaktoren.<br />
Der Übersetzer vergegenwärtigt sich in seinem Langzeitgedächtnis verfestigte Handlungsschemata<br />
und setzt diese bei der Erreichung seines Handlungszieles ein. Dadurch daß Übersetzungstechniken<br />
weithin regelhafter Natur sind, werden sie in bestimmtem Umfang vorhersagbar.<br />
Diese Vorhersagbarkeit übt eine Entlastungsfunktion aus. Der Übersetzer kann von<br />
vorgegebenen Handlungsmustern Gebrauch machen, oder er kann von ihm für geeignet und<br />
582<br />
ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003