NATION UND SPRACHE
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Forum Sonderaspekte verbaler Kommunikation Florentina Alexandru<br />
Adaptationsfähigkeit aufweisen. Das führt zu einer Dynamik und Durchlässigkeit des ganzen<br />
kulturellen Systems, welches ständig unter dem Druck der externen Einflussfaktoren, aber auch<br />
der internen veränderlichen Größen steht.<br />
Die interkulturelle Perspektive setzt einen erweiterten Kulturbegriff voraus. Unter Kultur<br />
versteht man nicht nur den geteilten Wissensvorrat der Kulturteilnehmer, “aus dem sich<br />
Kommunikationsteilnehmer, indem sie sich über etwas in der Welt verständigen, mit Interpretationen<br />
versorgen” 3 , so dass sie innerhalb und außerhalb des eigenen kulturellen Systems<br />
angemessen handeln und kommunizieren können. Die Kultur umfasst auch das, was dem alltäglichen<br />
Wirklichkeitsbereich angehört: Werte, Normen, Einstellungen, Stereotype, Verhaltensweisen,<br />
Bräuche, Sitten, Gewohnheiten. Die Kultur ist also nicht nur das Schöne und das<br />
Erhabene, sondern auch die Lebenskultur, d.h. ein Verhaltens und Handlungsmuster, nach dem<br />
sich die Kulturteilnehmer in ihrem Alltagsleben richten. Die Kultur spielt die Rolle eines<br />
Orientierungssystems, das zum einen das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln der<br />
Kulturteilnehmer beeinflußt, und zum anderen ihre Zugehörigkeit zu einer Nation, Gesellschaft,<br />
Gruppe oder Organisation bestimmt.<br />
Die Struktur eines Orientierungssystems ist auf bestimmte Maßstäbe angewiesen. Diese<br />
Orientierungsmaßstäbe ermöglichen den Kulturteilnehmern ihre Umwelt zu bewältigen. In<br />
fremden kulturellen Kontexten greifen die Kulturmitglieder immer auf ihre vertrauten<br />
Orientierungssysteme und vor allem auf ihre typischen zentralen Kulturstandards 4 zurück,<br />
damit sie leichter die potentiell konflikthafte interkulturelle interpersonale Begegnung überwinden<br />
und sich der neuen Situation anpassen können. Die Interaktionsprobleme nehmen<br />
immer zu, wenn die Interaktanten, ausgehend von einer scheinbaren Identität von Kulturen, ein<br />
hohes Maß an Ähnlichkeit im Denken, Interpretieren und Handeln erwarten, aber große Unterschiede<br />
erfahren. Wie die Kulturen gegeneinander abgegrenzt werden können, ist eine Frage,<br />
die in den meisten theoretischen Arbeiten zur interkulturellen Kommunikation zur Diskussion 5<br />
kommt, und die letzten Endes nicht beantwortet wird. Abgrenzungskriterien wie Staatsgrenzen,<br />
Nationalität, gemeinsamer relativ homogener Wissensvorrat, Sprachgemeinschaft können<br />
Kultursysteme nicht genügend voneinander unterscheiden.<br />
Jedes Individuum, das einem Kultursystem angehört, verfügt aufgrund seiner eigenen und<br />
der tradierten Erfahrungen und infolge der Interaktionen in Gruppen, Gesellschaften und<br />
Organisationen über eine eigene Art, die Umwelt wahrzunehmen, sie zu interpretieren und zu<br />
kategorisieren und entsprechend der Situation angemessen zu handeln. Das erklärt die Heterogenität<br />
innerhalb desselben Kultursystems. Der Grad der Heterogenität hängt von der<br />
kommunikativen Kompetenz des Individuums ab. Je besser man diese Fähigkeit ausdrücken<br />
kann, desto größer wird der Grad der Heterogenität. Die individuellen kommunikativen Fähigkeiten<br />
können je nach den Forderungen des Systems funktional oder disfunktional sein. Man<br />
unterscheidet drei Kompetenzstufen:<br />
⇒ eine minimale Kompetenz (Die kommunikativen Fähigkeiten des Individuums sind geringer<br />
als diejenigen, die von einem bestimmten System verlangt werden. Solche Personen befinden<br />
sich außerhalb des sozialen Systems und sie können nicht einmal innerhalb des<br />
Systems angemessen handeln und kommunizieren.)<br />
3<br />
Habermas, J. (1981): Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, Frankfurt am Main, S.209.<br />
4<br />
Die Kulturteilnehmer betrachten die Kulturstandards als Richtlinien des Handelns. Für eine Kultur sind sie typisch und<br />
verbindlich (vgl. Thomas, A. 1991).<br />
5<br />
Vgl. Goodenough 1971, Gumperz 1977, Galtung 1985, Knapp / Knapp-Potthoff 1990, Knapp 1992, Müller 1991,<br />
Loenhoff 1992, Hofstede 1993.<br />
ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003