NATION UND SPRACHE
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Das Gesprächsbild – eine Dialoganalyse in stereotypen Äusserungen<br />
Die Vielfalt gebundener Formen zeigt, dass der Gegenstandsbereich der Phraseologie uneinheitlich<br />
ist. Eine weit gefasste Phraseologie-Forschung geht über die Grenzen der<br />
traditionellen Phraseologie hinaus. Mit Gülich (1997, 170) ist Phraseologie in einem weiten<br />
Verständnis das Gebiet der Linguistik, in dem Formelhaftigkeit oder Vorgeformtheit in einem<br />
umfassenden Sinn untersucht wird. Gegenwärtig werden vor allem Aspekte der Verwendung<br />
phraseologischer Einheiten diskutiert. Auf die ständige Ausweitung des Gegenstandsbereichs<br />
der Phraseologie haben viele Linguisten hingewiesen. Gemäß einer weiten Auffassung von<br />
Phraseologie gehören in den Bereich der Phraseologie auch die sogenannten „Routineformeln“.<br />
Die Einbeziehung solcher Ausdrücke in die Idiomatik wurde von Burger (1973) vorgeschlagen.<br />
Coulmas führt Routineformeln neben Redewendungen, Sprichwörtern und Gemeinplätzen als<br />
„Arten verbaler Stereotype“ an und benutzt sie als Argument für eine „pragmatische<br />
Fundierung der Idiomatik“ (Coulmas 1981, zit. nach Gülich 1997, 144): „Routineformeln sind<br />
wie Sprichwörter oder auch Gemeinplätze Muster für die Konstituierung von Handlungen, und<br />
zwar von solchen Handlungen, die sich in der alltäglichen kommunikativen Praxis jeder Sprachgemeinschaft<br />
wiederholen. Sie sind an rekurrente Situationen des sozialen Verkehrs gebunden<br />
und sind als Resultat dieser Situationsstandardisierungen zu betrachten.“ „Phraseologismus“<br />
wäre demnach Oberbegriff für verschiedene Typen formelhafter Ausdrücke aufzufassen. Die<br />
Darlegungen zur Erfassung des Begriffs 'Phraseologismus' verzeichnen eine vielfältige, uneinheitliche<br />
terminologische Festlegung. Unabhängig zahlreicher Definierungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten<br />
werden die unter dem Oberbegriff 'Phraseologismus' subsumierten<br />
Erscheinungen in ihrer formalen und semantischen Eigenart von den übrigen Lexemen abgehoben.<br />
Auch Lüger (1989, 1998) greift das Problem der Erweiterung des Gegenstandsbereichs der<br />
Phraseologie auf, indem er in einem umfassenden Konzept von Stereotypie auch eine textuelle<br />
Ebene einbezogen haben will; folglich sei der Bereich der Phraseologie so auszudehnen, dass<br />
nicht allein satzgliedwertige Einheiten, sondern auch größere Einheiten einbezogen werden:<br />
Routineformeln, satzwertige Ausdrücke, Äußerungssequenzen oder ganze Texte, die als vorgeprägt<br />
oder musterhaft gelten. Der Forschungsbereich der Phraseologie müsse die Textdimension<br />
umfassen: “[…] man [wird] sich in Zukunft weiter den Peripherie- und Übergangsphänomenen<br />
zuwenden und die Phraseologie auch als Schnittstelle etwa zur<br />
Text(sorten)linguistik, zur Ritualforschung und zur Gesprochenen-Sprache-Forschung begreifen<br />
müssen”. (Stein 1994 zit. nach Lüger 1998, 44). Auch Gülich (1997) stellt die Frage zur Diskussion,<br />
ob man Textteile oder sogar ganze Texte als Phraseologismen beschreiben kann und<br />
damit auch die Frage nach dem Gegenstandsbereich der Phraseologie, nach möglichen Erweiterungen<br />
oder Eingrenzungen. Ich berücksichtige die Formenvielfalt der ‘Fertigteile’, die uns<br />
die Sprache zur Verfügung stellt, und gehe bei den Betrachtungen von einem weiten Phraseologiebegriff<br />
aus, d.h. ich beschränke mich nicht nur auf den phraseologischen Kernbereich.<br />
Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen demnach einerseits diejenigen Erscheinungen, die<br />
als zentrale Gruppe innerhalb phraseologischer Einheiten mit Begriffen wie Idiom, Phraseolexem,<br />
Phrasem, Redensart, Redewendung, Wendung (mit Spezifizierungen wie 'idiomatisch',<br />
'sprichwörtlich', 'bildlich', 'fest' oder 'gebunden'), Wortgruppenlexem, fester Ausdruck, feste<br />
Formel, Stereotyp, phraseologische Einheit, feste Wortgruppe, phraseologische Wortfügung,<br />
feste Wortverbindung umschrieben wurden und die die Minimalstruktur einer Wortgruppe aufweisen.<br />
Unter dem Begriff 'phraseologische Einheiten' sind allgemein nicht satzwertige Wortgruppen<br />
mit unterschiedlicher syntaktischer Struktur und mehr oder weniger ausgeprägter Umdeutung<br />
der Komponenten zu verstehen. Im folgenden soll die Vielgestaltigkeit formelhafter<br />
ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003<br />
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