NATION UND SPRACHE
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Nation und Sprache<br />
Verletzung des Prinzips oder von Befriedigung angesichts seiner Erfüllung, eine nationalistische Bewegung<br />
wird durch eine derartige Empfindung angetrieben. 5<br />
Wenn also Karl dem IV., dem Luxenburger und späteren Kaiser des Heiligen Römischen Reiches<br />
deutscher Nation von den deutschen Kurfürsten die Stimme in ihrem Gremium wegen<br />
mangelnder Deutschkenntnisse versagt wurde, so mögen die wahren politischen Gründe für<br />
diese Ablehnung der anderen Fürsten vielleicht andere Beweggründe gehabt haben, die uns<br />
heute nicht bekannt sind. Es kann aber sein, daß diese nationale Begründung für die Charakterisierung<br />
dieses beliebten böhmischen Königs im nachhinein gefunden wurde. Es ist nämlich<br />
vielmehr wahrscheinlich, daß die Umgebung des Kaisers als „Umgangssprache“ auch zu dieser<br />
Zeit noch Latein sprach. Die Beherrschung der tschechischen Sprache durch diesen Herrscher<br />
mag aber ein weiterer Aspekt in der Skala der Beliebtheit dieses Kaisers und böhmischen Königs<br />
sein, dessen nationaler Mythos als Errichter der Hungermauer heute noch lebendig ist. 6 Aber<br />
auch die Gründung der Universität von Prag mag die Definition als Sprachnation gefördert haben,<br />
da hier - wie auch an der neu gegründeten Universität von Padua – die Universitätskörperschaften<br />
als Sprachnationen definiert wurden. 7<br />
Diese Beobachtung um den Kaiser Karl IV. soll aber andeuten, daß Sprache zunehmend zur<br />
nationalen Identifikation beitrug. So waren die Deutschen seit dem Ende des 11. Jahrhunderts<br />
eine prinzipiell durch ihre Sprache definierte Nation 8 mit beträchtlichen regionalen Unterschieden,<br />
wie man heute noch weiß. Diese deutsche Nation war als politische Größe nur<br />
indirekt begreifbar und berief sich auf ein Imperium, das eschatologische Züge aufwies und daß<br />
nicht nur die deutschen Lande sondern auch die spanischen Stände Karls V umfaßte. Von dort<br />
führt die Linie zu den Reden von Johann Gottlieb Fichte 9 und der Definition der „Kulturnation“.<br />
Das Aufkommen eines patriotisch motivierten Nationalsprachenbewußtseins findet seine ersten<br />
Gründe in den veränderten sprachkulturellen Rahmenbedingungen. Im Zuge der frühneuzeitlichen<br />
Territorialisierung entstehen neue politische Ordnung- und Gemeinschaftsvorstellungen. Der Sinn<br />
für den Staat als Gebietskörperschaft ist endgültig erwacht. Staatliche Einheiten sind jetzt im politischen<br />
Bewußtsein stärker als territoriale Manifestationen mit allen ihren Begleitkomponenten repräsentiert<br />
als feudalrechtliche personale Lehnsverbände. 10<br />
Wir können hier nur einige generelle Beobachtungen aufzeigen, ohne auf dieses komplexe<br />
Gebilde wie Territorialisierung und Herausbildung des frühneuzeitlichen Staates, der dann zu<br />
der Konstitution der Nationalstaaten führte, einzugehen. Wenn aber die Sprache als Identität<br />
stiftendes Element einer Kulturnation anzusehen ist, so führten die Bildung der Nationalstaaten<br />
und die kulturellen Wurzeln der jeweiligen „Regionalstaaten“ in fast allen Ländern Europas zu<br />
Konflikten, die heute noch sichtbar und nicht überwunden sind. Diese Konflikte beeinflussen<br />
das kulturelle und soziale Leben besonders, wenn sich eine Sprachgruppe auch sozial von der<br />
anderen absetzt, Belgien und auch Kanada sind gute Beispiele dafür.<br />
5<br />
Ernest Gellner: Nationalismus und Moderne. Hamburg 1995, S. 8.<br />
6<br />
Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama. Hrsg. von Monika Flacke. Eine Ausstellung des Deutschen Historischen<br />
Museums unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzler Dr. Helmuth Kohl. Begleitband zur Ausstellung vom 20.<br />
März 1998 bis 9. Juni 1998. Emmanuel Dité, Der Bau der Hungermauer zur Zeit Karls IV. vor 1891, S. 393.<br />
7<br />
Heinz Thomas: Sprache und Nation, in: Nation und Sprache, a.a.O., S. 91.<br />
8<br />
Heinz Tomas: Sprache und Nation, a.a.O., S. 95.<br />
9<br />
Johann Gottlieb Fichte: Reden an die Deutsche Nation. Mit einer Einleitung von Reinhard Lauth. 5. durchgesehene<br />
Auflage. Hamburg 1978, XLI, 268 S.<br />
10<br />
Joachim Knape: Humanismus, Reformation, deutsche Sprache und Nation. In: Nation und Sprache, a.a.O., S. 113.<br />
ZGR 1-2 (21-22) / 2002, 1-2 (23-24) / 2003<br />
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