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Volltext - Deutsches Institut für Erwachsenenbildung

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Besprechungen<br />

Michael Bergeest<br />

Bildung zwischen Commerz und Emanzipation<br />

<strong>Erwachsenenbildung</strong> in der Hamburger Region<br />

des 18. und 19. Jahrhunderts<br />

(Waxmann Verlag) Münster 1995, 427 Seiten,<br />

DM 68.00<br />

Horst Dräger, der sich bisher ja wohl am meisten<br />

mit der Geschichte der <strong>Erwachsenenbildung</strong><br />

befaßt hat, klagt immer wieder darüber,<br />

daß die Historiographie der <strong>Erwachsenenbildung</strong><br />

bisher nur aus aktuellem Anlaß, bildungspolitischem<br />

Interesse oder ideologischen Vorlieben<br />

heraus ihre Gegenstände ausgewählt<br />

und andere entsprechend ausgeklammert<br />

habe. Michael Bergeest zitiert Dräger darin<br />

zustimmend und versucht, ohne Vorauswahl<br />

alle Bildungsinitiativen zu untersuchen, die im<br />

gewählten Zeitraum zu identifizieren sind, wobei<br />

alles zählt, was auf Lernen, Information,<br />

Berufsfortbildung, kulturelle Aktivität, Gesang<br />

(!), allgemeine Aufklärung und Bildung zielt,<br />

und nur ausgeschlossen wird, was sich sowieso<br />

historischer Forschung fast ganz entzieht,<br />

nämlich die rein individuelle und private Bildung<br />

einzelner.<br />

Auf diese Weise kann Bergeest <strong>für</strong> Hamburg<br />

etwa 85 Bildungsinitiativen aufweisen und untersuchen.<br />

Natürlich interessiert dabei, warum<br />

diese Initiativen gerade in Hamburg ergriffen<br />

werden, was dann zu einer manchmal generellen,<br />

oft aber auch sehr spezifischen Analyse<br />

der politischen, sozialen, ökonomischen und<br />

geistigen Verhältnisse in Hamburg, aber auch<br />

des jeweiligen Umfeldes, in dem die Initiativen<br />

entstanden sind, führt. Initiativen gehen zwar<br />

meistens von einzelnen Personen oder kleinen<br />

Personengruppen aus, aber auch diese<br />

stehen ja in einem gesellschaftlichen Zusammenhang,<br />

der aufschlußreich <strong>für</strong> die Motive<br />

und Hintergründe des Handelns ist. So verwendet<br />

Bergeest mit Recht viel Mühe auf die<br />

Rekonstruktion der Biographien wichtiger Träger<br />

der Bildungsinitiativen. Und natürlich befragt<br />

er auch die Archivalien und sozialgeschichtlichen<br />

Schriften über die meist nicht<br />

leicht zu beantwortende Frage, mit welchen<br />

Methoden und mit welchem Erfolg man die<br />

Bildungsarbeit betrieben hat. Manchmal läßt<br />

sich noch ziemlich genau rekonstruieren, nicht<br />

168<br />

nur an wen die einzelne Bildungsinitiative gerichtet<br />

war, sondern auch wer ihr in etwa gefolgt<br />

ist. Dabei ist das Alter der Teilnehmer von<br />

entscheidender Bedeutung, denn das ist das<br />

einzige Kriterium, das der Autor gelten läßt <strong>für</strong><br />

seine immer wieder gestellte Frage, ob eine<br />

Bildungsinitiative von „andragogischer Relevanz“<br />

ist, wobei er natürlich berücksichtigt, daß<br />

damals andere Maßstäbe <strong>für</strong> Erwachsenensein<br />

galten als heute.<br />

Michael Bergeest hat eine wissenschaftlich<br />

gediegene, <strong>für</strong> die zukünftige Forschung grundlegende<br />

und <strong>für</strong> die <strong>Erwachsenenbildung</strong> selbst<br />

nicht uninteressante Bestandsaufnahme vorgelegt.<br />

Er sagt zwar selbst, daß er nicht den<br />

Anspruch auf Vollständigkeit erhebe, aber ich<br />

vermute, daß er nichts, jedenfalls nichts Wichtiges,<br />

ausgelassen hat. Der Vorteil eines solchen<br />

quasi vorurteilsfreien Herangehens an<br />

das vorliegende historische Material hat das<br />

Ergebnis, daß Bildungsinstitutionen und -initiativen<br />

auftauchen, die man bisher nicht beachtet<br />

und nicht zur <strong>Erwachsenenbildung</strong> gezählt<br />

hat. Durch eine so umfassende Bestandsaufnahme<br />

kommt auch erst heraus, zu welcher<br />

Fülle von Bildungsinitiativen die Bürgerschaft<br />

einer so relativ liberalen und weltoffenen Stadt<br />

wie Hamburg fähig und motiviert war. Überraschend<br />

und beachtenswert ist beispielsweise<br />

der Befund, daß schon etwa hundert Jahre vor<br />

der englischen Universitätsausdehnungsbewegung<br />

in Hamburg ein öffentlicher Vorlesungsbetrieb<br />

herrschte. Der lokalhistorische Aspekt<br />

ermöglicht überhaupt erst die Erfassung und<br />

Darstellung solcher Vielfalt. Wenn in Zukunft<br />

noch einige andere Großstädte in ähnlicher<br />

Weise untersucht sind, läßt sich vielleicht eine<br />

hochinteressante Reflexion darüber erstellen,<br />

was gerade urbaner, großstädtischer Geist <strong>für</strong><br />

die Entwicklung einer <strong>Erwachsenenbildung</strong> zu<br />

leisten vermochte.<br />

Ich muß zugeben, daß die Darstellung der etwa<br />

85 Bildungsinitiativen in dem mittleren und weitaus<br />

größten Teil der Arbeit mit der Zeit eine<br />

zähe Lektüre wird. Man fragt sich manchmal, ob<br />

man das alles wissen muß, was über den Zustand<br />

des Hamburger Hafens in einer bestimmten<br />

Zeit oder ähnliches berichtet wird, um ein<br />

Urteil über eine erwachsenenbildnerische Initiative<br />

abgeben zu können, zumal oft ein Kapitel<br />

dann nur mit der Feststellung endet, insofern

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