06.11.2013 Aufrufe

Sozialkapital und Bürgerengagement in der Nachbarschaft

Sozialkapital und Bürgerengagement in der Nachbarschaft

Sozialkapital und Bürgerengagement in der Nachbarschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

158<br />

Sauberkeit. Die vorgelegten drei Aussagen konnten trotz <strong>der</strong> <strong>in</strong>haltlichen<br />

E<strong>in</strong>schränkung nur e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis auf die Internalisierung bestimmter Normen<br />

geben. Dabei ergaben sich Unterschiede zwischen den Altersklassen, die e<strong>in</strong>e<br />

"gewisse" Doppelmoral <strong>in</strong>terpretieren lassen. Während <strong>der</strong> Müll von <strong>der</strong> älteren<br />

Generation noch weniger auf <strong>der</strong> Straße akzeptiert wird als von <strong>der</strong> jüngeren<br />

Bevölkerung, s<strong>in</strong>d es vor allem Junge, die ke<strong>in</strong>en H<strong>und</strong>ekot riechen können. Dieser<br />

Trend nimmt mit zunehmenden Alter ab.<br />

In e<strong>in</strong>zelnen Interviews wurde die Me<strong>in</strong>ung geäußert, dass Auslän<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Normen <strong>und</strong> Werte leben als Deutsche. Dieser E<strong>in</strong>druck konnte mit den H<strong>in</strong>weisen<br />

teilweise empirisch belegt werden, jedoch liegen die Unterschiede nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stärke<br />

<strong>der</strong> Zustimmung <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d nicht gr<strong>und</strong>sätzlicher Natur. Wichtig sche<strong>in</strong>t es, sich<br />

über die Ursprünge <strong>der</strong> kulturellen Unterschiede bewusster zu werden. So stammt<br />

z.B. <strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> türkischen Bevölkerung aus dem ländlich geprägten Ostteil<br />

<strong>der</strong> Türkei. Es liegt auf <strong>der</strong> Hand, dass sich das H<strong>und</strong>ekotproblem auf dem Land <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>stellung ursprünglich erst mal an<strong>der</strong>s darstellt als <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stadt. Um dies<br />

besser e<strong>in</strong>schätzen zu können, wäre e<strong>in</strong>e eigene empirische Untersuchung<br />

notwendig.<br />

Die Norm <strong>der</strong> Reziprozität konnte bei den Bewohnern <strong>in</strong> beiden Kiezen plausibel<br />

nachgewiesen werden. Starke Abweichungen gab es nur bei <strong>der</strong> ausländischen<br />

Bevölkerung. Hier werden öfter nachbarschaftliche Leistungen gegeben als<br />

umgekehrt erhalten werden. Betrachtet man die Türken wie<strong>der</strong> isoliert, so f<strong>in</strong>det<br />

sich <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> <strong>in</strong> dem traditionellen Familienbild. Es s<strong>in</strong>d vor allem Türken, die<br />

mit ihren Verwandten <strong>in</strong> den beiden Kiezen leben. Die gegenseitige Unterstützung<br />

<strong>und</strong> Fürsorge <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie hält während des ganzen Lebens, auch wird<br />

Besitz wird kaum getrennt. Türken s<strong>in</strong>d bereit, etwa für die Hochzeit e<strong>in</strong>es<br />

Verwandten größere Geldsummen zu geben, ohne Gegenleistungen dafür zu<br />

erwarten 33 . Das steht <strong>der</strong> Theorie von <strong>Sozialkapital</strong> nicht entgegen.<br />

Starke Unterschiede ergaben sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Atmosphäre des generalisierten Vertrauens<br />

zwischen beiden Kiezen. Ungefähr die Hälfte <strong>der</strong> Bevölkerung im Sold<strong>in</strong>er Kiez<br />

f<strong>in</strong>det ihr soziales Umfeld rücksichtslos, während diese Me<strong>in</strong>ung am Sparrplatz nur<br />

zu 33% geteilt wird. Ähnlich s<strong>in</strong>d die Ergebnisse bei <strong>der</strong> Frage "Wie wohl fühlen<br />

Sie sich im Kiez?". 79,9% <strong>der</strong> Bürger aus dem Sparrplatz- Kiez fühlen sich sehr<br />

o<strong>der</strong> eher wohl, im Sold<strong>in</strong>er Kiez s<strong>in</strong>d es 57,2%.<br />

Interessant ist, dass e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> Bevölkerung am Sparrplatz das soziale Umfeld<br />

nicht als rücksichtsvoll beurteilt <strong>und</strong> dennoch 80% <strong>der</strong> gleichen Leute sich dort gut<br />

aufgehoben fühlen. Für viele Menschen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für Studenten, stellen die<br />

beiden Kieze nur Durchgangsstationen ihres Lebens <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> dar. Wenn das<br />

empirisch belegte Wohlbef<strong>in</strong>den gezielter angesprochen <strong>und</strong> bewusst gemacht<br />

wird, bleiben die Kieze, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> am Sparrplatz, eventuell mehr als e<strong>in</strong>e<br />

Durchgangstation aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> billigen Mieten.<br />

Werden die Entstehungsbed<strong>in</strong>gungen für <strong>Sozialkapital</strong> rückblickend <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zusammenfassung betrachtet, so s<strong>in</strong>d die Voraussetzungen <strong>in</strong> beiden Kiezen besser<br />

als das von den Medien gezeichnete Image vermuten ließ. Beson<strong>der</strong>s am Sparrplatz<br />

s<strong>in</strong>d die kiezaktiven <strong>Sozialkapital</strong>potenziale hoch e<strong>in</strong>zuschätzen.<br />

4.4.3.2 Präsenz <strong>und</strong> Qualität Sozialer Netzwerke<br />

In den beiden Untersuchungsgebieten ist schon aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong><br />

fre<strong>und</strong>schaftlichen <strong>und</strong> verwandtschaftlichen Netzwerke bedeutendes <strong>Sozialkapital</strong><br />

33<br />

M , ÇINAR T (HRSG) 1998 (2, überarb. Aufl.): Das türkische Berl<strong>in</strong>. Berl<strong>in</strong>: Auslän<strong>der</strong>beauftragte des<br />

Senats von Berl<strong>in</strong>. S.19<br />

Humboldt-Universität zu Berl<strong>in</strong><br />

Geographisches Institut<br />

Arbeitsberichte<br />

Nr. 87 (2003)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!