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Sozialkapital und Bürgerengagement in der Nachbarschaft

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21<br />

Mart<strong>in</strong> Anker<br />

Stefanie Stolper<br />

Lars Wagenknecht<br />

3.2 Freiwilliges Engagement <strong>und</strong> „Neues Ehrenamt“<br />

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit dem freiwilligen Engagement. Als bisher<br />

noch ungenügend genutzte gesellschaftliche Ressource kommt dem freiwilligen<br />

Engagement für die Zukunft e<strong>in</strong>e immer stärkere Bedeutung zu. Durch e<strong>in</strong><br />

gezieltes Engagement können die sich Engagierenden aktiv die eigene Lebenswelt<br />

vor Ort mitgestalten. Dies ist gerade für die Quartiers-/ Kiezebene von Bedeutung.<br />

Ganz zu Beg<strong>in</strong>n soll kurz die Historie des Ehrenamtes betrachtet werden, um die<br />

Verän<strong>der</strong>ungen zu zeigen, die es seit Beg<strong>in</strong>n des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts durchlief.<br />

Anschließend erfolgt e<strong>in</strong> Blick auf den Umfang <strong>und</strong> die Bedeutung des freiwilligen<br />

Engagements <strong>in</strong> Deutschland, verb<strong>und</strong>en mit e<strong>in</strong>er Betrachtung des Wertewandels<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Wertetypen. Der Frage, wie Engagement geför<strong>der</strong>t werden kann,<br />

beziehungsweise welche Hemmnisse ihm entgegenwirken, soll am Ende des<br />

Kapitels nachgegangen werden.<br />

3.2.1 Zur Historie des Ehrenamtes<br />

Das „bürgerliche Ehrenamt“ entstand 1808 durch die Verabschiedung <strong>der</strong><br />

Preußischen Städteordnung zur Integration des aufstrebenden Bürgertums <strong>in</strong> den<br />

absolutistischen Staat. Aus dieser resultierten Selbstgestaltungsrechte bei <strong>der</strong><br />

Verwaltung <strong>der</strong> lokalen Angelegenheiten durch die Bürger, sowie<br />

Selbstgestaltungspflichten, wie die unentgeltliche Verpflichtung von Bürgern zur<br />

Übernahme von „öffentlichen Stadtämtern“. Damit war das bürgerliche Ehrenamt<br />

anfangs e<strong>in</strong> „Amt“ im eigentlichen S<strong>in</strong>ne, nämlich <strong>der</strong> Ausübung öffentlicher<br />

Gewalt. Zugleich war es untrennbar mit <strong>der</strong> Lokalgeme<strong>in</strong>schaft verb<strong>und</strong>en. Das<br />

soziale Ehrenamt wurde dann 1853 geschaffen <strong>und</strong> als „Elberfel<strong>der</strong> System“<br />

bekannt. Als Teil <strong>der</strong> kommunalen Verwaltung auf Gr<strong>und</strong>lage <strong>der</strong> Preußischen<br />

Städteordnung sah es die Durchführung <strong>der</strong> öffentlichen Armenpflege als<br />

ehrenamtliche Aufgabe <strong>der</strong> (männlichen) Bürger vor. Dabei war beim sozialen<br />

Ehrenamt die lokale Vertrautheit <strong>und</strong> Präsenz des Armenpflegers als Bürger <strong>und</strong><br />

Nachbar entscheidendes Qualifikationsmerkmal. In den 1890er Jahren wurde die<br />

herkömmliche Armenpflege dann zur kommunalen Sozialpolitik ausgebaut. Dies<br />

führte zu e<strong>in</strong>er Bürokratisierung <strong>und</strong> Professionalisierung kommunaler Politik <strong>und</strong><br />

zu e<strong>in</strong>em Bedeutungsverlust des Ehrenamtes. Verstärkt wurde dieser Prozess dann<br />

nach dem 1. WK <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Weimarer Republik. Die Ehrenamtlichkeit <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> öffentlichen Armenpflege wurde durch berufliche <strong>und</strong> fachliche Tätigkeiten<br />

ergänzt <strong>und</strong> überlagert (vgl. SACHßE 2000: 76f.).<br />

In <strong>der</strong> BRD nach dem 2. WK fristete das Ehrenamt e<strong>in</strong> Schattendase<strong>in</strong>. Erst <strong>in</strong> den<br />

1970er Jahren wurde <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>gedanke ehrenamtlicher Arbeit, d.h. sich lokal vor<br />

Ort für die eigenen Belange aktiv e<strong>in</strong>zusetzen <strong>und</strong> die eigene Lebenswelt<br />

mitzugestalten, unter dem Etikett <strong>der</strong> „Geme<strong>in</strong>wesenarbeit“ (GWA) wie<strong>der</strong><br />

aufgegriffen. Von fortschrittlichen SozialarbeiterInnen getragen, verstand sich die<br />

Aktivierung als Wi<strong>der</strong>stand gegenüber dem bürokratischen Apparat zur Erlangung<br />

von Gegenmacht. Wichtig war „e<strong>in</strong>e laute Stimme, e<strong>in</strong> Herz für die Leute, e<strong>in</strong>e<br />

gehörige Portion Frechheit <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en klaren Kopf zu besitzen.“ Im Gegensatz<br />

dazu, sagt HINTE, grenzt die heutige Form <strong>der</strong> geordneten Bürgerbeteiligung die<br />

Menschen aus, die sich ungeordnet <strong>und</strong> lautstark äußern, <strong>und</strong> bezieht nur die e<strong>in</strong>,<br />

die sich <strong>in</strong> Formen wie Bürgersprechst<strong>und</strong>e o<strong>der</strong> Bürgere<strong>in</strong>gabe zu äußern gelernt<br />

haben. Auch stellt er fest, dass die Umdeutung von BürgerInnen zu K<strong>und</strong>Innen zu<br />

Beteiligung <strong>und</strong> Engagement nicht anregt, da e<strong>in</strong> K<strong>und</strong>e nur bedient wird (vgl.<br />

HINTE 1998: 153ff.).<br />

Schnur, O. (Hrsg.):<br />

<strong>Sozialkapital</strong> <strong>und</strong> Engagement <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Nachbarschaft</strong>: Ressourcen für die<br />

„soziale“ Stadtentwicklung. Empirische<br />

Untersuchungen <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>-Wedd<strong>in</strong>g.

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