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Sozialkapital und Bürgerengagement in der Nachbarschaft

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gegenüberliegendes Haus <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sold<strong>in</strong>er Str.) mal jemand pünktlich die Miete<br />

bezahlt, ist gleich die Polizei da <strong>und</strong> fragt, wo er das Geld her hat!“ äußert <strong>der</strong><br />

Leiter des Sold<strong>in</strong>er Treffs während des Interviews <strong>und</strong> spricht damit zwei<br />

gr<strong>und</strong>legende Probleme des Sold<strong>in</strong>er Kiezes an, die auch von an<strong>der</strong>en Befragten<br />

(sowohl Experten<strong>in</strong>terviews als auch Bewohnerbefragung) angesprochen werden:<br />

Krim<strong>in</strong>alität <strong>und</strong> soziale Armut im Kiez. Räumlich konzentrieren sich sich diese<br />

beson<strong>der</strong>s im Bereich um die westliche Sold<strong>in</strong>er Straße, wobei die Panke als<br />

markante Grenze empf<strong>und</strong>en wird: „Also die [Sold<strong>in</strong>er] Straße hier, die ist ja<br />

geteilt. Bis zur Panke geht’s, was dah<strong>in</strong>ter ist, da kannste nach Achte nicht mehr<br />

gehen“ (J. Brunken).<br />

Die Rolle von Vere<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Initiativen <strong>in</strong>nerhalb des Kiezes ist dabei<br />

unterschiedlich: manche <strong>der</strong> Netzwerke s<strong>in</strong>d stark im Kiezgeschehen verankert<br />

(z.B. „Sold<strong>in</strong>er Treff“, „<strong>Nachbarschaft</strong>sladen“), an<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d eher auf Bezirks- bzw.<br />

Stadtebene ausgerichtet (z.B. „Bahad<strong>in</strong> Der“, „Holz + Farbe“).<br />

<strong>Nachbarschaft</strong><br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich bezogen sich die Aussagen <strong>der</strong> Experten im Bereich Vere<strong>in</strong>e /<br />

Initiativen eher auf die Kiezebene als auf die Ebene <strong>der</strong> <strong>Nachbarschaft</strong>. Dies mag<br />

vielleicht damit zusammenhängen, dass auch <strong>der</strong> Wirkungskreis <strong>der</strong> Akteure den<br />

Bereich <strong>der</strong> <strong>Nachbarschaft</strong> deutlich überschreitet. Aussagen, die sich konkret auf<br />

das unmittelbare Wohnumfeld beziehen <strong>und</strong> etwas über Zustand, Funktion <strong>und</strong> den<br />

Wandel <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Nachbarschaft</strong>en verraten, kommen vor allem von<br />

Gesprächspartnern, die selbst im Kiez wohnten, wobei sich die Wohndauer<br />

deutlich auf die Wahrnehmung des e<strong>in</strong>zelnen von se<strong>in</strong>er <strong>Nachbarschaft</strong><br />

auszuwirken sche<strong>in</strong>t. Die Erfahrungen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>schätzungen <strong>der</strong> Akteure können<br />

hier kaum verallgeme<strong>in</strong>ert werden, da sie sehr spezifisch an die jeweilige<br />

Biographie geb<strong>und</strong>en s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> E<strong>in</strong>blicke <strong>in</strong> sehr unterschiedliche, nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

existierende Lebenswelten <strong>in</strong>nerhalb desselben Kiezes geben.<br />

E<strong>in</strong>en sehr starken Bezug zur <strong>Nachbarschaft</strong> weisen die Ausführungen des Leiters<br />

vom „Sold<strong>in</strong>er Treff“ auf. Aufgewachsen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sold<strong>in</strong>er Straße, verb<strong>in</strong>den ihn vor<br />

allem Er<strong>in</strong>nerungen an die Vergangenheit mit dem Kiez: „wir haben hier mit<br />

Harald Juhnke gespielt, <strong>der</strong> hat um die Ecke gewohnt“ (J. Brunken). Herr<br />

Brunken formuliert die Gr<strong>und</strong>lage se<strong>in</strong>er <strong>Nachbarschaft</strong>sb<strong>in</strong>dung so: „me<strong>in</strong>e<br />

Geburt, me<strong>in</strong>e Lehre, me<strong>in</strong>e Straftat 37 – me<strong>in</strong> Zuhause (...) - das ist e<strong>in</strong><br />

Heimatgefühl“ (zitiert nach J. Brunken). Wegzugsabsichten kommen da nicht auf:<br />

„mir könntest du e<strong>in</strong> Haus schenken <strong>in</strong> Lübars o<strong>der</strong> am Wannsee – ich würde nicht<br />

h<strong>in</strong>ziehen – hier tobt das Leben!“ Allerd<strong>in</strong>gs beklagt J. Brunken das<br />

unausgewogene Mischungsverhältnis <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Nachbarschaft</strong> <strong>und</strong> begründet<br />

dies mit den Erfahrungen se<strong>in</strong>er 6jährigen Hausmeistertätigkeit: „Da, wo ich<br />

Hausmeister war, war ich <strong>der</strong> letzte Deutsche. (...) B<strong>in</strong> selber rausgegangen – drei<br />

Krankenhausaufenthalte, das hat mir gereicht. Hab’ mit dem Baseballschläger e<strong>in</strong>s<br />

vorn Kopf gekriegt: wie ich dazu komme, die K<strong>in</strong><strong>der</strong> anzubrüllen. Was heißt<br />

anbrüllen, ich hab’ gesagt: ,K<strong>in</strong><strong>der</strong>, jetzt hört mal auf, jetzt ist Schluss’. (...)“ (J.<br />

Brunken). Schuld an den nachbarschaftlichen Konflikten ist nach J. Brunkens<br />

Me<strong>in</strong>ung vor allem, dass es <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Nachbarschaft</strong> am „richtigen<br />

Mischungsverhältnis“ (J. Brunken) zwischen den unterschiedlichen<br />

Bevölkerungsgruppen mangelte, was durch die starke Abwan<strong>der</strong>ung weiter<br />

verstärkt wird: „Deutsche s<strong>in</strong>d dann rausgegangen <strong>und</strong> es kam wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong><br />

re<strong>in</strong> von dem an<strong>der</strong>n, ist alles so e<strong>in</strong>e Sippensache...“ (J. Brunken).<br />

37 J. Brunken ist <strong>der</strong> „Geldfälscher vom Wedd<strong>in</strong>g“ : <strong>in</strong> den 60er Jahren hat er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wohnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sold<strong>in</strong>er<br />

Straße 4 ½ Jahre lang Falschgeld im Wert von ca. 800 000 DM gedruckt.<br />

Humboldt-Universität zu Berl<strong>in</strong><br />

Geographisches Institut<br />

Arbeitsberichte<br />

Nr. 87 (2003)

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