Die private Überschuldung im internationalen Vergleich

INTERNATIONALER VERGLEICH F
F. Fazit und Ausblick für die Diskussion in Deutschland
Die für die untersuchten Länder zur Verfügung stehenden Daten lassen den Gesamtverschuldungsgrad
deutlich erkennen, weisen aber – ähnlich wie in Deutschland – Lücken bei dem individuellen
Verschuldungsgrad, der individuellen Verschuldungsstruktur und dem individuellen Verschuldungsprozess
auf. Eine Datenverdichtung gibt es hingegen beim individuellen Überschuldungsgrad und -
prozess. Die Fallakten insolventer Schuldner ermöglichen aussagekräftige Analysen und erlauben
eine Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf Personengruppen mit vergleichbaren Merkmalen,
die noch keine Beratung in Anspruch genommen haben. Um aus den Ver- und Überschuldungsdaten
Schlussfolgerungen für Lösungsansätze entwickeln zu können, wären für alle Länder regelmäßigere
und aktuellere Datenerhebungen wünschenswert, die sozioökonomische/soziodemografische
Merkmale einbeziehen. Die vorhandenen Datensätze lassen international aber zwei Trends
erkennen:
(1) Dem Konsumentenkredit kommt immer stärker die Funktion zu, die Ausgabenliquidität zu
sichern. Dies ist am deutlichsten in den USA und Großbritannien zu erkennen. In beiden Ländern
gleicht der Kredit Einkommenseinbußen bzw. -schwankungen als Folge von Arbeitslosigkeit und
kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen im Niedriglohnsektor aus. Zudem eröffnet der Kredit den Zugang
zum Gesundheitswesen. Gleichzeitig weisen beide Länder den höchsten Anteil an Privathaushalten
aus, die vom regulierten „ersten Finanzdienstleistungsmarkt“ ausgeschlossen sind. Der Wohlfahrtsund
Sozialstaatsgedanke sowie der reglementierte Bankensektor bewahren Kontinentaleuropa und
Skandinavien vor einem vergleichbaren Szenario. Die Pflicht zur Übernahme von mehr (finanzieller)
Eigenverantwortung durch die Sparzwänge der Staatshaushalte macht aber auch für diese Länder
die Notwendigkeit deutlich, dafür Sorge zu tragen, dass Privathaushalten ein diskriminierungsfreier
Zugang zu Finanzdienstleistungen offen gehalten werden muss, weil sie künftig stärker auf
Finanzdienstleistungen zurückgreifen müssen, um höhere Vorsorgeausgaben zu tätigen und
Einkommenseinbußen auszugleichen.
(2) Überschuldung ist in keinem Land eine Randerscheinung, sondern hat sich zu einem drängenden
sozialen Problem entwickelt. Alle nationalen Regierungen sind sich des Handlungsbedarfs
bewusst.
Überschuldung ist für die Betroffenen mit finanzieller und sozialer Ausgrenzung verbunden. Darüber
hinaus verursacht Überschuldung für die Gläubiger, die Gesellschaft und den Staat Zusatzkosten.
Konzepte zur Bewältigung des modernen Schuldturms sollten darauf abzielen, dass die
Betroffenen ihre wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zurückerlangen und ihr Leben wieder eigenverantwortlich
führen können, und der sozialen Verelendung, die mit sozialen Folgekosten verbunden
ist, entgegen wirken. Hierfür reicht das Angebot eines judiziellen Entschuldungsverfahrens alleine
noch nicht aus, wenn im Übrigen die soziale Realität des Ver- und Überschuldungsprozesses ausgeblendet
bleibt. Dies lässt sich am Beispiel Großbritanniens erkennen – dem Land mit der längsten
Tradition eines Restschuldenerlasses und – gemessen an der Zahl überschuldeter Privathaushalte –
den niedrigsten Zahlen eröffneter Privatkonkursverfahren. Die Ausdehnung des „sub-prime
lending“-Markts mit seinen Zinshöchstsätzen verdeutlicht, dass allein ein „post-contractual“-
Lösungsansatz, wie er mit dem Britischen Insolvenzrechtsmodell gewählt ist, dem modernen
Schuldturm nicht wirksam begegnen kann. Ähnliches gilt für die USA, die im Gegensatz zu
201