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8 1 Die Raumzeit<br />
Für jedes Ereignis E liegt fest, welche späteren Ereignisse von ihm mit Lichtpulsen<br />
beeinflußt werden können und umgekehrt, von welchen früheren Ereignissen es durch<br />
Lichtpulse hat beeinflußt werden können. Diese Ereignisse bilden den Vorwärts- und den<br />
Rückwärtslichtkegel von E. Beide gehören wie Einkerbungen zur geometrischen Struktur<br />
der Raumzeit, so wie die Rille zur Schallplatte gehört.<br />
Außer den Lichtstrahlen sind in der leeren Raumzeit keine anderen Geraden physikalisch<br />
ausgezeichnet. Es gibt keinen nachweisbaren Äther, der Weltlinien gleichen Ortes<br />
durchliefe, und es gibt keine meßbare Weltzeit, die Schichten gleicher Zeit definierte. Die<br />
Zeit- und Ortsachsen sind, anders als die Lichtkegel, keine geometrische Strukturen der<br />
Raumzeit, sondern hängen vom Beobachter ab. Daher und der Übersichtlichkeit wegen<br />
lassen wir die Achsen in den weiteren Raumzeitdiagrammen weg.<br />
Wären Licht und elektromagnetische Wellen die Schwingungen eines auch im Vakuum<br />
vorhandenen Trägermediums Äther, so wie Schall Schwingungen der Luft und anderer<br />
Materie ist, und wären die Weltlinien, die von den Bestandteilen des Äthers durchlaufen<br />
werden, meßbar, so könnte man Bewegung gegenüber dem Äther messen und von Ruhe<br />
unterscheiden.<br />
Könnte man für jedes Ereignis eine Weltzeit messen, deren Meßergebnis für alle Beobachter<br />
gleich ist und die demnach dem Ereignis an sich zukäme, dann könnte man einen<br />
ruhenden von einem gleichförmig bewegten Beobachter dadurch physikalisch unterscheiden,<br />
daß Lichtpulse, die er in einem Ereignis in entgegengesetzte Richtungen ausgestrahlt<br />
und die zu gleicher Weltzeit reflektiert werden, zum ruhenden, nicht aber zum bewegten<br />
Beobachter jeweils wieder im gleichen Augenblick zurückkommen.<br />
Der experimentelle Befund, daß man im Vakuum gleichförmige Bewegung nicht von<br />
Ruhe unterscheiden kann, besagt also, daß physikalisch ein Äther nicht nachweisbar und<br />
eine Weltzeit nicht meßbar ist. Dies widerlegt Newtonsche Vorstellungen und scheint<br />
unserer Alltagserfahrung, dem gesunden Menschenverstand, zu widersprechen. Aber unsere<br />
Alltagserfahrung ist auf kleine Geschwindigkeiten beschränkt. Wie sich die Natur<br />
jenseits unserer Alltagserfahrung verhält, klären Physiker mit Experimenten.<br />
Maßstäbe<br />
Maßstäbe sind vielen Einflüssen unterworfen, die ihre Meßgenauigkeit beschränken. Die<br />
Länge von Maßstäben hängt von der Temperatur und streng genommen vom Druck ab.<br />
Wenn man Maßstäbe im Schwerefeld der Erde anlegt, so muß man schauen, also durch<br />
Licht überprüfen, ob sie verbogen sind. Wegen ihres Gewichts sind Maßstäbe verkürzt,<br />
wenn sie stehen, und verlängert, wenn sie hängen, denn es gibt keine wirklich starren<br />
Körper. Über größere Längen stehen überhaupt keine Maßstäbe zur Verfügung. An der<br />
Ausfahrt Echte der Autobahn Hannover Kassel verkündet zwar ein Schild stolz ” Echte<br />
1000 m“, aber durch Hintereinanderlegen von Maßstäben kann man Längen, die wenige<br />
Meter überschreiten, nur noch ungenau bestimmen. Man mißt sie optisch mit Licht.<br />
Michelsons Messungen besagen, daß Maßstäbe wie Meßlatten und starre Körper unabhängig<br />
von der Geschwindigkeit des Beobachters dieselben Längenmaße ergeben wie<br />
Apparate, die Lichtlaufzeiten messen.<br />
Da c, die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum, konstant ist und wegen der Unvollkommenheiten<br />
fester Körper als Maßstäbe, mißt man räumliche Entfernung mit der Laufzeit, die<br />
Licht für den Hin- und Rückweg braucht. Diese Entfernung stimmt innerhalb der Meßgenauigkeit,<br />
die durch ungenaue Maßstäbe begrenzt wird, mit denjenigen Abständen<br />
überein, die man bestmöglich mit Maßstäben ermittelt. Seit 1983 ist definitionsgemäß<br />
299 792 458 Meter die Entfernung, die Licht im Vakuum in einer Sekunde zurücklegt.<br />
Wir geben Länge einfach in Flugzeit von Licht an. Dann ist ein Lichtjahr einfach ein<br />
Jahr und eine Lichtsekunde ist einfach eine Sekunde und hat die Länge<br />
1 Sekunde = 299 792 458 Meter . (1.2)<br />
Geschwindigkeiten sind dann einheitenlose Zahlen, nämlich ihr Verhältnis zur Lichtgeschwindigkeit,<br />
und c hat den natürlichen Wert c = 1. Meter pro Sekunde ist ein<br />
Zahlenfaktor wie Kilo oder Milli und bedeutet etwa 3,3 Nano<br />
Meter<br />
Sekunde =<br />
1<br />
299 792 458<br />
, c = 299 792 458 Meter<br />
= 1 . (1.3)<br />
Sekunde<br />
In Maßsystemen mit c = 1 vereinfachen sich die Formeln der relativistischen Physik<br />
und enthüllen Gemeinsamkeiten zwischen Orts- und Zeitmessungen. Nur in einige Ergebnisse<br />
fügen wir die Faktoren c ein, wie sie alltäglich auftreten, wenn wir nicht Sekunden<br />
in Meter umrechnen.<br />
Daß man Abstände durch Laufzeiten bezeichnen kann, ist kinderleicht. In Grimms<br />
Rotkäppchen liegt Großmutters Haus eine halbe Stunde vom Dorf. Von einer Lichtsekunde<br />
als einer Sekunde zu reden, ist nicht frivoler oder revolutionärer als eine halbe<br />
Wegstunde kurz eine halbe Stunde zu nennen.<br />
Der Einwand, Länge und Zeit seien grundlegend verschieden, ist nicht stichhaltig. In<br />
der Luftfahrt sind Höhe und Entfernung ebenfalls grundverschieden und werden in Fuß<br />
und nautischen Meilen angegeben. Dennoch ist die Steigung einer Flugbahn dimensionslos,<br />
denn man identifiziert 1 Fuß = 1,646ó10 −4 nautische Meilen.<br />
Auch wenn Abstände definitionsgemäß mit Lichtlaufzeiten gemessen werden und demnach<br />
die Lichtgeschwindigkeit den konstanten Wert c = 1 hat, so könnte dennoch diese<br />
Definition experimentell widerlegt werden. Wählt man zunächst vier Punkte O, X, Y<br />
und Z, die nicht in einer Ebene liegen, und bestimmt ihre Abstände, und betrachtet<br />
man dann die Abstandsmessungen eines fünften Punktes A zu den vier Bezugspunkten,<br />
dann fixiert das Ergebnis der Abstandsmessung zum Ursprung O die Lage von A auf<br />
eine Kugel um den Ursprung, der gemessene Abstand von X schränkt diesen Ort auf den<br />
Schnitt zweier Kugelflächen, einen Kreis, ein und der gemessen Abstand von Y auf den<br />
Schnitt dieses Kreises mit einer Kugelfläche, also auf zwei Punkte, die durch Spiegelung<br />
auseinander hervorgehen. Beim Abstand von A zum Punkt Z kann es sich daher nur um<br />
einen von zwei Werten handeln. Er muß mit dem gemessenen Abstand übereinstimmen,<br />
falls die Lichtgeschwindigkeit, wie bei all den Längenmessungen unterstellt, überall und<br />
jederzeit konstant ist. Zwischen den n(n − 1)/2 Abständen von n ≥ 5 Teilchen gibt es,<br />
wenn die Lichtgeschwindigkeit konstant ist, n(n − 1)/2 − 3n+6 Beziehungen. Sie gelten<br />
nicht definitionsgemäß, sondern stimmen mit aller bisherigen Erfahrung überein.<br />
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