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12 1 Die Raumzeit<br />
Ist für einen Beobachter B das Ereignis E gleichzeitig zu E ′ und ist E ′ gleichzeitig zu<br />
E ′′ , so sind auch E ′ und E ′′ gleichzeitig zu E. Zudem sind sie für jeden Beobachter, der<br />
gegenüber B ruht, gleichzeitig.<br />
Wie man durch Verschieben des Lichtecks t−Et+E ′ längs der Weltlinie des Beobachters<br />
sieht, sind für ihn die Ereignisse, die auf einer Parallelen zur Geraden durch E ′ und E<br />
liegen, einander gleichzeitig.<br />
Die Weltlinie des Beobachters und die für ihn zu einer Zeit stattfindenden Ereignisse<br />
bilden in Raumzeitdiagrammen die Diagonalen eines Lichtecks. Die eine Diagonale<br />
besteht aus gleichortigen Ereignissen, die andere aus gleichzeitigen.<br />
Gleichortigkeit oder Gleichzeitigkeit ist keine geometrische Eigenschaft, die Paaren<br />
von Ereignissen an sich unabhängig von einem Beobachter zukommt. Denn die Weltlinien<br />
gegeneinander bewegter Beobachter sind nicht parallel und die Beobachter stimmen<br />
nicht darin überein, welche Ereignisse am gleichen Ort stattfinden. Da bei nicht parallelen<br />
Weltlinien auch die anderen Diagonalen in den Lichtecken beider Beobachter nicht<br />
einander parallel sind, stimmen gegeneinander bewegte Beobachter auch nicht darin<br />
überein, welche verschiedenen Ereignisse zur gleichen Zeit stattfinden.<br />
Grenzgeschwindigkeit<br />
Könnte sich wie in Diagramm 1.6 eine Ursache E ′ im Vakuum mit einer Grenzgeschwindigkeit,<br />
die höher als die Lichtgeschwindigkeit ist, auf ein Ereignis E auswirken, so gäbe<br />
es einen Beobachter S, für den beide Ereignisse gleichzeitig stattfinden. Eine Grenzgeschwindigkeit,<br />
die die Lichtgeschwindigkeit übersteigt, würde so einen Beobachter S<br />
auszeichnen. Relativ zu ihm könnte man im Vakuum Ruhe von gleichförmiger Bewegung<br />
unterscheiden, was gegen das Relativitätsprinzip verstößt.<br />
In einem Medium, etwa in einer Flüssigkeit, wäre eine Schallgeschwindigkeit denkbar,<br />
die die Vakuumlichtgeschwindigkeit übersteigt. Auch wenn man nie solch ein wundersames<br />
Medium beobachtet hat, logisch wiedersprüchlich wäre es nicht. Selbst wenn man<br />
eine Abfolge von Ereignissen auf einer kreisförmigen Weltlinie konstruieren könnte, auf<br />
der jedes das nachfolgende verursacht. Man könnte also – so wird argumentiert – seinen<br />
eigenen Großvater in dessen Kindheit erschießen. Was sich selbst widerspricht, denn ohne<br />
Großvater existiert nicht sein Mörder. Aber dieser Widerspruch unterstellt, daß man auf<br />
geschlossenen Weltlinien frei ist, zu tun, was man will. Wie der Widerspruch zeigt, ist<br />
diese Unterstellung falsch. Auf geschlossene Weltlinien kann man nur solche Änderungen<br />
vornehmen, die damit verträglich sind, daß man wieder bei der Ausgangssituation<br />
anlangt. Man ist dort auf das Rad nie endender Wiedergeburt geflochten.<br />
Daß die Lichtgeschwindigkeit Grenzgeschwindigkeit aller Wechselwirkungen ist, kann<br />
man durch Beobachtungen bestätigen oder widerlegen. Solange man von Neutrinos, die<br />
keine elektromagnetischen Wechselwirkungen haben, nicht wußte, wie schnell sie sich<br />
ausbreiten, nahm man an, daß ihre Grenzgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit sei.<br />
Mittlerweile weiß man es: die Grenzgeschwindigkeit von Neutrinos stimmt mit der Lichtgeschwindigkeit<br />
mindestens in den ersten neun Dezimalen überein [7]. Denn bei der Supernova<br />
sn 1987 a im Februar 1987 hat man Neutrinos und Licht nachgewiesen, die auch<br />
nach 160 000 Jahren Laufzeit gleichzeitig eintrafen.<br />
Empfangen wir eine Nachricht, so ist die Information vom Sender verursacht. Sie kann<br />
höchstens mit Lichtgeschwindigkeit übermittelt werden.<br />
Die Ereignisse E ′ , die von E beeinflußt werden können, bilden die Zukunft von E und<br />
finden um mindestens die Lichtlaufzeit später als E statt.<br />
Die Vergangenheit von E besteht aus denjenigen Ereignissen E ′ , die sich auf E haben<br />
auswirken können, die also um mindestens die Lichtlaufzeit früher als E stattgefunden<br />
haben.<br />
Die Ereignisse E ′ , die so früh stattfinden, daß man<br />
sie von E aus nicht mehr beeinflussen kann, und die<br />
noch nicht so lange her sind, daß man schon bei E<br />
von ihnen erfahren hätte, nennen wir raumartig zu E.<br />
Ist E ′ raumartig zu E, so ist umgekehrt E raumartig<br />
zu E ′ . Zueinander raumartige Ereignisse können<br />
einander nicht beeinflussen. Anders als Gleichzeitigkeit<br />
ist die Eigenschaft von Paaren von Ereignissen,<br />
raumartig zu sein, unabhängig vom Beobachter. Allerdings<br />
ist sie nicht transitiv: ist A raumartig zu B<br />
und B raumartig zu C, so folgt daraus nichts darüber,<br />
ob A raumartig zu C ist.<br />
Die Zukunft und Vergangenheit von E werden<br />
durch die bei E aus- und einlaufenden Lichtstrahlen,<br />
dem Vorwärts- und den Rückwärtslichtkegel von E,<br />
von den zu E raumartigen Ereignissen getrennt.<br />
Tachyon und starre Körper<br />
Zukunft<br />
raumartig raumartig<br />
E<br />
Vergangenheit<br />
13<br />
Abbildung 1.7: Zukunft und Vergangenheit<br />
von E<br />
Weil ein Teilchen deshalb an einem Ort ist, weil es vorher an einem benachbarten Ort<br />
war, und da sich diese Ursache höchstens mit Lichtgeschwindigkeit auswirkt, kommt<br />
die Weltlinie des Teilchens in jedem Ereignis aus der Vergangenheit und verläuft in die<br />
Zukunft: sie liegt überall innerhalb des Lichtkegels. Es gibt nichts schnelleres als Licht.<br />
Nichts überholt Licht.<br />
Als Tachyon bezeichnet man ein Teilchen, das sich mit Überlichtgeschwindigkeit bewegt<br />
und etwa in Diagramm 1.6 die Weltlinie durch E ′ und E durchläuft. Wenn Tachyonen<br />
existierten und Licht streuen könnten, wären sie für einen Beobachter B, dessen<br />
Weltlinie sie kreuzen, zunächst unsichtbar, denn ihre Weltlinie schneidet nicht den<br />
Rückwärtslichtkegel von frühen Ereignissen auf der Weltlinie des Beobachters B. Die<br />
Rückwärtslichtkegel der späteren Ereignisse auf der Weltlinie von B hingegen haben zwei<br />
Schnittpunkte mit der Weltlinie des Tachyons Diese beiden Schnittpunkte entfernen sich<br />
im Laufe der Zeit in entgegengesetzte Richtungen, wenn B seine Weltlinie durchläuft.<br />
Das Tachyon erschiene also einem Beobachter als ein Paar von Teilchen, das aus dem<br />
Nichts an einer Stelle entsteht und in entgegengesetzte Richtungen wegläuft. Es gibt<br />
nicht eine ernstzunehmende Beobachtung, die die Existenz von Tachyonen nahelegt.<br />
Man kann ohne großen Aufwand Ereignisse verursachen, die eine tachyonische Weltlinie<br />
bilden, etwa indem man bei einer Landebahn eines Flughafens alle Lampen mit