FORSCHUNGSBERICHT 2004 - am Fachbereich ...

WiSo-Forschungsbericht 2004 - Lehrstuhl für Öffentliches Recht 200
paßt werden können. Die Flächentarifverträge genießen je-
doch einen außerordentlich starken Grundrechtsschutz;
denn sie gehören zum Kern der Tarifautonomie, der als
Wesensgehalt der Koalitionsfreiheit, des Art. 9 Abs. 3 GG
gemäß Art. 19 Abs. 2 GG nicht angetastet werden darf. Es
ist somit Sache der Tarifpartner, der Gewerkschaften und
der Arbeitgeberverbände, soweit erforderlich, Tarifverträge
mit Öffnungsklauseln für betriebsbezogene Sonderregelun-
gen zu vereinbaren. Der Staat hat keine Befugnisse, die
(sogenannten) Sozialpartner zu verpflichten, ihre Lohnpoli-
tik den wettbewerblichen Erfordernissen der Unternehmen
anzupassen. Die Flächentarife haben außerordentliche so-
zialpolitische Bedeutung. Sie lösen die stetige Verteilungs-
problematik. Die Entwicklung fast aller Masseneinkommen
werden durch die Pilotverträge, meist die der Metallindust-
rie in Baden-Württemberg, bestimmt, nicht nur die Löhne in
den anderen Tarifbereichen und Tarifbezirken, sondern
auch die Gehälter, die Renten, die Sozialhilfeleistungen
u.a.m. Die Flächentarife sichern den sozialen Frieden, weil
sie die große Verteilungsaufgabe meistern, mit der der Par-
teienstaat überfordert wäre. Sie sind dadurch geradezu die
Mitte des Staates. Die Tarifpolitik ist trotz aller europäischer
Integration national, weil die Mitgliedstaaten eigenständige
Einkommensgefüge haben, die bisher nicht kompatibel
sind. Der Druck auf die Flächentarifverträge ergibt sich aus
der europäischen und globalen Integration der Wirtschaft.
Diese nötigt geradezu, die große Maxime des Nationalstaa-
tes, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, aufzugeben.
Wenn die Flächentarifverträge beseitigt werden, ist der so-
ziale Frieden aufgekündigt. Die wirtschaftliche Integration
führt erneut in die Soziale Frage.