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FORSCHUNGSBERICHT 2004 - am Fachbereich ...

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WiSo-Forschungsbericht <strong>2004</strong> - Lehrstuhl für Soziologie und Sozialanthropologie 252<br />

Diese beispielhaften Zahlen aus Österreich haben der Tendenz nach für die ges<strong>am</strong>te<br />

EU Geltung. Während der Median bereits definitionsgemäß ungeeignet ist, solche<br />

Entwicklungen wiederzuspiegeln, ist in der Praxis einer üblichen Stichprobenerhe-<br />

bung nicht zu erwarten, dass derart extreme Reichtumskonzentrationen repräsentiert<br />

sind, geschweige denn, dass die entsprechenden Privathaushalte auskunftsbereit<br />

wären. Es ist demnach festzuhalten, dass die heute konventionelle Messung von<br />

Armut gegenüber der Konzentration von Reichtum nicht sensitiv ist.<br />

Diese technischen Probleme gegenwärtiger Berichterstattung verweisen auch auf die<br />

empirisch ungeklärte Beziehung von Reichtum und Armut. Die Auffassung, dass die<br />

Zahl von >Armen< und die Zahl der >Reichen< in einer Gesellschaft komplementäre<br />

Größen sind, ist offensichtlich falsch. Analytisch gesehen gibt es bedeuts<strong>am</strong>e Fälle<br />

der Unabhängigkeit, ja sogar der positiven konkomitanten Variation:<br />

Übersicht 2: Beispiele konkomitanter Variation von Armut und Reichtum<br />

Zunahme von<br />

Armut<br />

Abnahme von<br />

Armut<br />

Zunahme von Reichtum Abnahme von Reichtum<br />

Benachteiligungen durch Konsumdruck<br />

und Wandel der Wirtschaftsstrukturen<br />

11<br />

Integration durch steigende Wirtschaftsleistung<br />

in den Nachkriegsjahren<br />

Arbeitslosigkeit als Folge von Wirtschaftskrisen<br />

und kurzfristigen<br />

Spekulationsgewinnen<br />

Hungerprävention bei drastischer Minderung<br />

der Nahrungsmittelproduktion durch<br />

kompensatorische Beschäftigungsprogr<strong>am</strong>me<br />

(z.B. Indien) 12<br />

Die Kapitalvernichtung während der Spekulationsblase der 90er Jahre hat nicht nur<br />

unmittelbare, sehr große Verluste für bis dahin reiche Privatpersonen und Unterneh-<br />

men zur Folge, sie führte mittelbar auch zu einer erheblichen Verringerung der Mas-<br />

senkaufkraft und zu einer Herabsetzung der Sozialleistungen des Staates, die ihrer-<br />

seits eine Zunahme der Verarmung bewirkt.<br />

Die Verteilung des Vermögens, das im Rahmen einer Gesellschaft verfügbar ist, wird<br />

vordergründig immer wieder zum Gegenstand moralischer Urteile genommen. Dies<br />

ist auch so, wenn man die Urteile von Soziologen untersucht. Solche naiven Urteile<br />

11 Zu dieser Form der Wohlstandsabhängigkeit von Armut fand Alexis de Tocqueville (1997, Memoir on Pauperism, Ausgabe<br />

von Ivan R Dee) bezeichnenderweise bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts empirisch, dass die meisten Armen in der d<strong>am</strong>als<br />

reichsten Gesellschaft – nämlich England – lebten. Die Gründe dafür sah er etwa in der Volatiliät sekundärer Bedürfnisse<br />

und resultierender Marktrisiken für Lohnabhängige. Aber auch in der Ausdehnung von Grundbedürfnissen sah er eine steigende<br />

Wahrscheinlichkeit, dass diese öfter unerfüllt bleiben müssen. Schließlich machte er staatliche Armenfürsorge dafür<br />

verantwortlich, dass Menschen in eine Art Armutsfalle geraten.<br />

12 siehe Amartya Sen a.a. O. S 207.

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