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FORSCHUNGSBERICHT 2004 - am Fachbereich ...

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WiSo-Forschungsbericht <strong>2004</strong> - Lehrstuhl für Soziologie und Sozialanthropologie 248<br />

zieherInnen zwischen 1997 und 2001 ausdrückt. Diese Indikatorenblindheit hat me-<br />

thodologische Wurzeln, die von der Stichprobenanlage von Haushaltsbefragungen bis<br />

zur Verwendung von Einkommensdaten ohne klaren Bezug zu dem Bedarf, den be-<br />

stimmte Formen der Lebensführung beinhalten, reichen.<br />

Die Kritik der üblichen Methoden der Armutsforschung beschränkt sich nicht auf<br />

‘Ausführungsmängel’ gängiger Armutsberichterstattung, sondern verweist auf die aus<br />

soziologischer Sicht fund<strong>am</strong>entale Fehlleitung der Ungleichheitsdebatte einer-<br />

seits auf Individuen und andererseits auf materielle Ressourcen. Für die kausal-<br />

analytische Betrachtung einer lediglich ex-post eruierbaren Verteilungssituation be-<br />

steht die maßgebliche methodische Herausforderung in der Erfassung asymmetri-<br />

scher Interaktionsmöglichkeiten sowie in der genauen Erfassung der Rolle der<br />

Armut im Kollektiv.<br />

Georg Simmel unterschied bereits sehr deutlich die soziologische Kategorie >des<br />

Armen< in Relation zu einem Kollektiv einerseits von der durch Mangel und Ent-<br />

behrung individuell qualifizierten Lage des ‘Arm Seins’ auf der anderen Seite. 6 Die<br />

Verteilung von Ressourcen (z.B. Einkommen) auf die Ges<strong>am</strong>tbevölkerung spielt da-<br />

her eine soziologisch nachgeordnete Rolle. Armut als soziale Tatsache konstituiert<br />

sich immer in ‘asymmetrischer Interaktion’. Sozio-kulturelle Faktoren bestimmen<br />

die spezifischen Interaktionsmöglichkeiten, die letzthin die Chancen auf Ressourcen-<br />

nutzung (bei Amartya Sen: ‘capabilities’ 7 ) determinieren.<br />

Drastisch zeigt sich die Bedeutung asymmetrischer Interaktionsmöglichkeiten, an der<br />

diskriminierenden Wirkung von Staatsbürgerschaft – etwa bei obdachlosen Asylwerbe-<br />

rinnen und Asylbewerbern in der ges<strong>am</strong>ten EU. Die mit sozialem Prestige, Bildung etc.<br />

einhergehenden Interaktionsmöglichkeiten können daher erhebliche Multiplikatorwir-<br />

kung entfalten.<br />

Unter dem Motto ‘wer hat dem wird gegeben’ erhält ein deutscher Bundesbankpräsi-<br />

dent großzügige Einladungen, während Sozialhilfeempfänger in Deutschland für einen<br />

Stundenlohn von 1-2 € dazuverdienen dürfen. In diesem Sinne ist auch das Bild der<br />

Verteilung von Ressourcen über soziale Transferleistungen (‘Gießkannenprinzip’) irre-<br />

führend, zumal Ressourcen überwiegend nur auf Antrag – also durch eine spezifische<br />

und formalisierte Interaktionsbeziehung – zugänglich gemacht werden. Die Barriere<br />

zur Hilfe zum Lebensunterhalt ist dabei vor allem sozialer Art – sei es durch vorausei-<br />

6<br />

Georg Simmel, 1992, Soziologie Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung Ges<strong>am</strong>tausgabe Band II, Frankfurt,<br />

Suhrk<strong>am</strong>p.<br />

7<br />

Amartya Sen, 1999, Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, Wien, Han-<br />

ser.

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