impressum - KOPS - Universität Konstanz
impressum - KOPS - Universität Konstanz
impressum - KOPS - Universität Konstanz
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Ab dem sechsten Kapitel wird deutlich Kurs genommen auf die eigene<br />
Theorieentwicklung. Dieses Kapitel ist das wichtigste. Attardo referiert die "semantic<br />
scripts theory of humor" von Victor Raskin, auf welcher seine eigene fußt. Diese<br />
erarbeite ein Kompetenz-Modell des Humors. So wie der kompetente Sprecher sich<br />
zur Grammatikalität eines Satzes äußern kann, so könne er auch Witzigkeit<br />
beurteilen. Performanz wird ganz im Sinne Chomskys zur Nebensache erklärt. Die<br />
Bereitstellung einer formalen Humortheorie soll zweierlei erlauben: die Generierung<br />
und Erkennung eines humoristischen Textes aus seinen Elementen (S. 198). Attardo<br />
stellt sich mit V. Raskin zusammen in eine generative Tradition.<br />
Im Humor überlappen sich Scripts, die in Opposition zueinander stehen. Raskin<br />
definiert drei Oppositionsklassen: aktuell vs. nicht-aktuell, normal vs. unnormal und<br />
möglich vs. unmöglich. In diesen drei Oppositionsklassen finden sich konkretere:<br />
z.B. lebend vs. tot, obszön vs. nicht-obszön.<br />
Typikalität gilt theorieübergreifend als Grundlage von Scripts. Bei Raskin sind<br />
Scripts zudem an Lexeme gebunden, haben aber auch enzyklopädische<br />
Dimensionen.<br />
Mulkay (1988) kritisierte diesen starken Entwurf einer Inkongruenztheorie binärer<br />
Oppositionen zu Recht als willkürlich und beliebig. 1 Attardo bezieht sich zwar<br />
verschiedentlich auf Mulkays Buch, geht aber auf seine Kritik am Ansatz von Raskin<br />
nicht ein. Raskin schreibt, daß die Dichotomien "usually involve some basic,<br />
quintessential categories of human existence" (Raskin 1985: 114). Welche<br />
Oppositionen sind denn nun "basic" und "quintessential"? Raskin stellt anhand eines<br />
bescheidenen Arztgattinnenwitzes die Opposition von "Doktorscript" und<br />
"Verführungsscript" in diese Gegenüberstellung. Warum soll eine Opposition von<br />
Doktorskript und Verführungsskript grundlegender ("basic" und "quintessential") sein<br />
als z.B. diejenige von Doktorskript und Freizeitskript oder Genußskript oder<br />
Scharlatanerieskript? Diese formalisierbaren Oppositionen machen insgesamt wenig<br />
Sinn. Vor allem die Opposition von möglich und unmöglich liefert überhaupt keine<br />
Hinweise auf die Pointenstruktur, da viele Witze von vornherein gar nicht in realen<br />
Welten spielen, sondern die Leserin oder Hörerin unmittelbar in eine mögliche<br />
Textwelt versetzen. Mit einem gewissen Schmunzeln liest man bei Attardo, daß<br />
Raskins Versuche der maschinellen Generierung von Witzen nicht erfolgreich waren<br />
(S. 218).<br />
Vor allem unterschätzt auch Attardo den Überraschungseffekt der Pointe. Ein<br />
wesentlicher Kritikpunkt an Raskins und Attardos Humortheorie besteht darin, daß<br />
der für Witze zentrale Überraschungseffekt mit dem Gedanken einer Opposition von<br />
Skripts, die in der Regel grundlegende Kategorien der menschlichen Existenz<br />
betrifft, nicht kompatibel ist. Wenn man nur Oppositionen verfolgen müßte, die<br />
basale Kategorien der menschlichen Existenz betreffen, könnte man die Pointe beim<br />
Hören des Witzes leicht konstruieren. Der Witz wäre langweilig, der Genuß dahin.<br />
Zum Erwartungsbruch, der für den Genuß des Witzes so bedeutend ist, gehört aber<br />
gerade, daß der Hörer bei aller Mühe selbst nicht auf die Pointe kommen kann.<br />
Wie zentral dieser Überraschungseffekt in der Witzrezeption zu veranschlagen ist,<br />
wurde z.B. von Preisendanz (1970) gezeigt, der von einem "Kollaps des<br />
1 Brock 1996: 36 kommt in seiner Analyse von Kongruenz in Monty Python’s Flying Circus auch<br />
zu dem Schluß, daß die Abstraktionsgrade bei Raskin viel zu hoch sind; man komme zu einer<br />
Trivialverkettung vom Typ „x vs. nicht x“.<br />
121