impressum - KOPS - Universität Konstanz
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BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENVERMITTLUNG 31 (1997), 33-77<br />
Daß in den L2-Interaktionen die Notwendigkeit, die Sprecherrolle abzusichern,<br />
weitaus weniger ins Gewicht fällt, da die Kinder oft ermuntert werden, sich aktiv zu<br />
beteiligen, bekräftigt die Ausgangsannahme, daß die gesprächsspezifischen<br />
Formeln vorrangig der Erleichterung des Formulierungsprozesses zugute kommen.<br />
Die Beobachtung, daß formelhafte Ausdrücke, für die eine bestimmte Funktion (und<br />
damit oft auch die Bindung an einen bestimmten Typ von Situation) charakteristisch<br />
ist, gegenüber anderen Typen von Phraseologismen, für die eine idiomatische<br />
Bedeutung charakteristisch ist, weitaus häufiger belegt sind, läßt vermuten, daß der<br />
Erwerb funktional geprägter fester sprachlicher Einheiten früher - und anders -<br />
verläuft als der Erwerb semantisch geprägter fester sprachlicher Einheiten.<br />
Begünstigt wird der frühe Erwerb sicherlich durch die Möglichkeit, typische<br />
Alltagssituationen (Einkaufen gehen, Arztbesuch machen usw.) im Spiel nachzustellen<br />
und dabei die jeweilige Phraseologie einzuüben (vgl. dazu das bei Burger/<br />
Buhofer/Sialm 1982: 237 dokumentierte Nachspielen der Situation "Zugfahren", in<br />
dessen Verlauf Vorschulkinder schon typische Wendungen wie "Achtung an der<br />
Bahnsteigkante!" oder "alle[s] aussteigen!" verwenden). Diese Beobachtungen<br />
sprechen für eine pragmatisch orientierte Spracherwerbstheorie:<br />
"Ausschlaggebend ist für den Erwerb, ob die Kinder den Phraseologismen eine<br />
kommunikative Funktion zuordnen können und sie die Situation identifizieren<br />
können, in denen ein Phraseologismus von den Erwachsenen normalerweise gebraucht<br />
wird." (Burger/Buhofer/Sialm 1982: 238)<br />
Entscheidend ist also offensichtlich, daß die Kinder eine pragmatische Fähigkeit<br />
erwerben und sich zunutze machen wollen und dabei erkennen, daß es für<br />
bestimmte Funktionen feste Ausdrucksformen gibt.<br />
Dafür, daß sich dies auf den natürlichen Zweitspracherwerb übertragen läßt, spricht<br />
das Material, in dem sich so gut wie keine idiomatischen Wendungen nachweisen<br />
lassen (wobei allerdings einzuräumen ist, daß in gesprochener Alltagssprache<br />
bekanntlich nur wenig Idiomatisches zu finden ist) 25 . Erklären könnte man den<br />
Formelerwerb damit, daß der Erwerb von Einheiten, die durch eine Funktion (und<br />
gegebenenfalls durch situative Faktoren) geprägt sind, leichter fällt als der Erwerb<br />
von komplexen Ausdrücken, die insofern kognitiv nachvollzogen werden müssen, als<br />
die Kinder sich von der wörtlichen Bedeutung von Lexemen lösen oder neben der<br />
wörtlichen eine ganzheitliche phraseologische Bedeutung aufbauen müssen.<br />
Gerade bei gesprächsspezifischen Formeln gilt es nicht, semantische Irregularitäten<br />
oder Mehrdeutigkeiten, sondern den Zusammenhang zwischen festem Ausdruck und<br />
25 Vgl. dazu die Ergebnisse zur Verteilung phraseologischer Wortverbindungen auf verschiedene<br />
(mündliche und schriftliche) Textsorten bei Burger/Buhofer/Sialm (1982: 144ff.). Ins Auge springt<br />
die Dominanz "situationsspezifischer Phraseologismen" in den mündlichen Textsorten einerseits<br />
(vgl. ebd., 160), andererseits aber auch, daß die mündlichen Textsorten insgesamt am<br />
wenigsten Phraseologismen aufweisen (vgl. ebd., 147 und 151).